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Mehr Autonomie für Personen mit Sehbeeinträchtigung

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  Do, 16.06.2022

Die autonome Bedienung von Haushaltsgeräten ist für Personen mit Sehbeeinträchtigung leider keine Selbstverständlichkeit. Die heute standardmässig verwendete Touchscreen Technologie stellt die Betroffenen vor grosse Herausforderungen. Verschiedene Verbände des Schweizer Sehbehindertenwesens setzen sich dafür ein, dass barrierefrei zugängliche Haushaltsgeräte häufiger eingesetzt werden

Sicherlich kennen Sie diese Situation: Ein Umzug steht an und man muss sich mit neuen Geräten und Rahmenbedingungen vertraut machen. In modernen Wohnungen stellen wir vermehrt fest: Tumbler, Herd, Backofen oder Geschirrspüler sind am neuen Ort oft nur noch über einen Touchscreen oder Sensortasten zu bedienen. Für viele Personen ist dies keine grosse Sache; für Personen mit Sehbeeinträchtigung ist dies jedoch eine schier unüberwindbare Hürde. Je nach Gerät bedeutet dies einen erheblichen Adaptionsaufwand, beispielsweise durch Anbringen von speziellen Folien für Touchscreens, oder es ist gar der Austausch des Geräts erforderlich. «Für Menschen mit verminderter Sehkraft sind Touchscreens ungeeignet. Für ältere Menschen kommt hinzu, dass mit zunehmen dem Alter auch die Tastfähigkeit und die kognitiven Fähigkeiten rückläufig sein können und dies zu erhöhten Schwierigkeiten in der Bedienung von Touch-screen-Geräten führt», sagt Susanne Rüegg, Rehabilitationsexpertin im Bereich der lebenspraktischen Fähigkeiten beim Schweizerischen Blindenbund SBb.

Inklusive Haushaltsgeräte

In der Schweiz leben rund 530 000 Personen mit einer Sehbeeinträchtigung. Die Tendenz ist aufgrund der demografischen Entwicklung der Bevölkerung steigend. Gerade viele ältere Menschen sind von einer Sehschwäche betroffen, die ganz alltägliche Tätigkeiten wie das Kochen beeinflusst. Als eines der obersten Ziele aller Bestrebungen im Rahmen der Gleichstellung und Chancengleichheit steht die Entwicklung und Ausarbeitung inklusiver Lösungen. Die Organisationen im Schweizer Sehbehindertenwesen setzen sich für die autonome Teilhabe in allen Bereichen des gesellschaftlichen, beruflichen und kulturellen Lebens ein. Dazu gehört auch die selbstständige Nutzung von Haushaltsgeräten. Bei der Planung der Innenausstattung von Wohnhäusern sollte im Interesse der Menschen mit Sehbeeinträchtigung darauf geachtet werden, dass auch barrierefrei zugängliche Haushaltsgeräte verfügbar sind oder auf Wunsch eingebaut werden können. Denn: Nicht nur Personen mit Sehbehinderung profitieren von einfach zu bedienenden Haushaltsgeräten. Der Trend bei den Haushaltsgeräten ist eindeutig: Die Verwendung von altbewährten Dreh- und Druckknöpfen wird je länger je mehr von Sensortasten verdrängt. Dabei sind es genau diese Drehschalter, die Haushaltsgeräte für Personen mit Sehbeeinträchtigung benutzbar machen. So sind beispielsweise viele Kochfelder über sogenannte berührungsempfindliche Flächen zu bedienen, die in unmittelbarer Nähe der Herdplatten zu finden sind. Hier wird es schwierig, das Gerät mit individuellen Markierungen, die auf oder neben den Touchscreen geklebt werden können, bedienbar zu machen. Denn man läuft Gefahr, die heissen Herdplatten zu berühren oder die Markierungen bei der Reinigung des Kochfelds unabsichtlich zu entfernen. Je nach Situation können allerdings schon geringe Kontrastanpassungen die Touchscreens für Personen mit einem Restsehvermögen bedienbar machen.

Digitalisierung als Chance

Für Personen mit Sehbeeinträchtigung bringt die Digitalisierung nicht nur Hürden, sondern bietet auch Chancen. So wird zum Beispiel durch die Verwendung eines Smartphones die selbstständige Fahrplanabfrage im öffentlichen Verkehr zum Kinderspiel. «Auch im Bereich der Haushaltsgeräte sind sogenannte Smart-Home-Systeme, die über das Smartphone oder eine Spracheingabe gesteuert werden können, ein Schritt in Richtung der autonomen Lebensgestaltung», sagt Luciano Butera, Leiter der Fachstelle Technologie & Innovation beim Schweizerischen Blinden- und Sehbehindertenverband SBV. Hierbei muss aber beachtet werden, dass nicht alle Personen ein Smartphone mühelos bedienen können. Somit sind Smart-Home-Lösungen sicher ein Schritt in die richtige Richtung, holen aber noch nicht die gesamte Zielgruppe ab. Weiter gilt es bei App-basierten Lösungen zu beachten, dass die barrierefreie Bedienung jederzeit – auch nach einem Update – vollständig zu gewährleisten ist.

Hindernisfreier Wohnungsbau

Die kantonalen Baugesetze legen fest, welche Wohnbauten hindernisfrei-anpassbar gebaut werden müssen. Die Mindestanforderungen, die erforderlich sind, damit die Wohnungen bei Bedarf an individuelle Bedürfnisse angepasst werden können, sind in der Norm SIA 500 festgehalten. Welche Haushaltsgeräte installiert werden sollen, wird dort aber nicht geregelt. Beim Bau von Wohnungen ist jedoch offensichtlich, dass Geräte, die für alle nutzbar sind, gesellschaftlich, wirtschaftlich und ökologisch am nachhaltigsten sind. Doch werden diese auch eingebaut? «Hier spielt der Markt. Die Nachfrage bestimmt das Angebot», zeigt Stephan Mörker, Leiter Fachstelle Hilfsmittel beim Schweizerischen Zentralverein fürs Blindenwesen SZBLIND die Problematik auf.

Dem Schweizerischen Blinden- und Sehbehindertenverband SBV, dem Schweizerischen Blindenbund SBb und dem Schweizerischen Zentralverein fürs Blindenwesen SZBLIND ist es wichtig, die Sensibilisierung für die Bedürfnisse von Menschen mit Sehbeeinträchtigung zu steigern, um den Einbezug von barrierefreien Haushaltsgeräten zu erhöhen. Denn: Gerade die ältere Bevölkerung kann von Drehschaltern und guten Kontrasten genauso profitieren wie Personen, die seit ihrer Geburt eine Sehbeeinträchtigung haben. Genauso ist eine Wohnung ohne Schwellen auch bei einer vorübergehenden körperlichen Einschränkung ein Segen. Wird bei einem Neu und Umbau an die Barrierefreiheit also das «Design for all» – gedacht, profitieren alle.

Aus «casanostra» 166

Die Autorin

Daniela Moser
Schweizerischer Blinden- und
Sehbehindertenverband SBV

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