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Immobilien-Crowdinvesting: eine alternative Finanzierungsform im Fokus

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  Do, 21.11.2024

Mit einer Investition von 10 000 Franken Hausbesitzer*in werden und dabei über sechs Prozent Eigenkapitalrendite einstreichen – das versprechen Crowdinvesting-Plattformen seit 2015 in der Schweiz. Diese Form der Schwarmfinanzierung hat in den letzten Jahren an Popularität gewonnen, birgt jedoch rechtliche und finanzielle Risiken. Gerade die Frage nach der Legalität sorgt für Diskussionen.

Bereits 1885 wurde in den USA Geld gesammelt, um den Sockel der Freiheitsstatue zu finanzieren – das erste Immobilien- Crowdfunding-Projekt war Tatsache. Heute, rund 140 Jahre später, nutzen diverse Plattformen diese Methode, um Kleinanleger*innen den Zugang zum Immobilienmarkt zu ermöglichen. Seit 2015 hat sich in der Schweiz der Teilmarkt des Immobilien-Crowdinvesting entwickelt, der durch das damalige Tiefzinsumfeld begünstigt wurde. Im letzten Jahr wurden über sechs Schweizer Plattformen solche Projekte erfolgreich abgewickelt und dabei Transaktionen über 109 Millionen CHF verzeichnet, womit 37 Immobilien finanziert wurden. Das Versprechen: Hohe Renditen bei vergleichsweise geringem Kapitaleinsatz. Doch das System hat seine Tücken.

An der Grenze zur Legalität
«Die Widerrechtlichkeit einer solchen Investmentbewerbung ist durch den Bundesgerichtsentscheid klar gegeben. Der Bundesrat bestätigt das», meint Alt-SP-Nationalrat Thomas Hardegger. In seiner 2017 eingereichten Interpellation kritisierte er, dass solche Crowdinvesting-Plattformen mit überrissenen Renditeversprechungen werben, was das Mietrecht verletze. Das Fazit des Bundesrates: Eine Bewerbung «mit einer im Sinne des Mietrechts unzulässigen Rendite [ist] unlauter, da widerrechtlich (Art. 2 UWG).»
Die zulässige Nettorendite bei Mietwohnungen liegt aufgrund des Referenzzinssatzes seit dem 1. Dezember 2023 bei maximal 3,75 Prozent. In der Realität würden diese aber so gut wie nie berechnet werden, erklärt Thomas Portmann, Finanzierungsexperte bei der Oxifina AG. Die Kriterien wie Qualität der Liegenschaft, der bauliche Zustand oder die Attraktivität auf dem lokalen Mietmarkt spielen bei der Berechnung der maximalen Nettorendite eine zentrale Rolle. Diese sind aber für Mieter*innen oft gar nicht oder nur teilweise nachvollzieh- bzw. einsehbar. «Das führt dazu, dass die Definition der Nettorendite in der Realität zahnlos ist», resümiert der Branchenkenner. Und fügt an, dass «ein freier und wenig regulierter Markt mit verbindlichen Rahmenbedingungen für die Entwicklung von mehr Wohnraum zielführender wäre, um die bestehende Wohnungskrise zu bekämpfen.» Obwohl das Bundesgericht die Rendite-Obergrenze festgelegt hat, bleiben Klagen von der Mieterseite her bis jetzt aus. Es traue sich niemand gegen diese Grossunternehmen bis vors Gericht zu ziehen, vermutet Hardegger. «Vielleicht interessiert es die Mietenden in befriedigenden Mietverhältnissen gar nicht, oder sie sind überhaupt gar erst zufrieden, eine Wohnung gefunden zu haben. Wo kein Kläger – da kein Richter.»

Investor*innen laufen Gefahr, angeklagt zu werden.
Dabei besonders brisant: Auch die Personen, welche Geld in diesen Liegenschaften anlegen, würden sich strafbar machen. Durch den Erwerb von Anteilen werden sie zu Miteigentümerinnen und Mitvermietern und deshalb auch zu potenziell Beklagten. Dies dürfte wohl den wenigsten Investor*innen bewusst sein.
Und was macht der Bundesrat? In seiner Antwort auf Hardeggers Interpellation betont er, dass er den weiteren Verlauf des Crowdfunding in Immobilien aufmerksam beobachtet. «Er handelt also von sich aus nicht», fasst Hardegger zusammen. «Der Bundesrat weiss, dass er im Parlament sicher wieder gestoppt werden würde.»

Trübe Aussichten im Parlament
Tatsächlich wurden seit 2015 mehrere Vorstösse zu diversen Themen rund um die Zulässigkeit von überrissenen Mieten im Nationalrat eingereicht. Viele davon fanden aber keine Mehrheiten. «Die Mieterinnen und Mieter sowie die sozialeren Hausbesitzer sind im Parlament deutlich untervertreten », erklärt Thomas Hardegger diese Aussichtslosigkeit.
Aktuelle Zahlen zu den Wohnverhältnissen in der Schweiz zeigen, dass rund 60 % als Mieter*innen wohnen – in keinem anderen Land der OECD-Staaten ist dieser Wert so hoch. Und die «NZZ am Sonntag» berichtete vor kurzem von einer Hauseigentümerquote im Nationalrat von 72 %, im Ständerat sogar von etwas mehr als 80 %. Weiter belegen Studien, dass sich die SVP, die FDP sowie die Mitte am stärksten für Anliegen und Interessen der Hauseigentümer*innen einsetzen. In Anbetracht dieser Statistiken und der aktuellen Parlamentszusammensetzung wird folglich schnell klar, warum sich keine Mehrheiten für Vorstösse wie denjenigen von Hardegger finden lassen. Dazu kommt, dass gerade Ausländer*innen überproportional in Mietwohnungen leben – und diese haben in der Schweiz bekannterweise politisch nichts zu bestimmen. Diese Ungleichheiten behindern eine gerechte politische Lösung.

Crowdinvesting – wie geht das?
Was einer allein nicht erreichen kann, schaffen viele zusammen: Beim Immobilien-Crowdinvesting finanzieren mehrere Personen gemeinsam ein Immobilienprojekt. Über Online- Plattformen werden Liegenschaften mit Renditepotenzial aufgelistet und so potenzielle Investoren gesucht. Sobald genügend Geld für den Kauf einer Immobilie gesammelt wurde, werden die Anlegerinnen und Anleger mit prozentualen Anteilen zu Miteigentümer*innen und profitieren von den Mieteinnahmen sowie einem möglichen Verkaufserlös.
Für Privatleute ist der Einstieg einfach: Mit bereits wenigen Zehntausend Franken können sie sich beteiligen, ohne sich um die Verwaltung der Liegenschaften kümmern zu müssen – das übernehmen die Anbieter. Investitionen in eine Immobilie werden quasi demokratisiert und so auch für Personen mit niedrigerem Budget zugänglich gemacht. Doch nicht ohne Risiko.

Hohe Renditen, aber auch hohe Risiken
Nochmals zurück zur Grundidee, was wir einzeln nicht können, schaffen wir zusammen. Durch das Immobilien-Crowdinvesting kann auch Gutes entstehen. Immobilien für eine breitere Mehrheit zugänglich zu machen, ist wünschenswert, gerade wenn das erworbene Wohneigentum auch selbst bewohnt wird. Dann bewegt man sich aber weg vom gewinnorientierten Denken mit möglichst hohen Renditen hin zu Stockwerkeigentümergemeinschaften und Genossenschaften. Auch diese können von günstigen Finanzierungslösungen profitieren und somit die Mieten senken.
Mit professioneller Hilfe sei in diesem Bereich viel Sparpotenzial vorhanden. «Es gibt Banken und Versicherungen, die explizit nach Genossenschaften suchen, um Projekte zu finanzieren. Ich bin manchmal erstaunt, dass Genossenschaften diese Angebote gar nicht kennen», führt Portmann aus.
Bei diesen Gemeinschaften wird der Schwarm, der finanziert, exklusiver, weil dann nur noch Personen daran interessiert sind, die selbst darin wohnen wollen. «Solche Leute sind dann natürlich auch nicht an hohen Mieten interessiert – diese würden sie ja selbst bezahlen», sagt Hardegger. Das grösste Risiko bei solchen Gemeinschaften besteht in der Entwicklung des Finanzmarktes, namentlich wenn die Hypothekarzinsen (drastisch) ansteigen.
Steigende Hypothekarzinsen und die daraus resultierende Renditeminderung bilden auch beim Immobilien-Crowdinvesting ein grosses Risiko. Hinzu kommt die Gefahr von Leerständen. Die Renditeversprechen der Plattformen setzen nämlich eine Vollvermietung voraus; vor teilweisem Wohnungsleerstand sind die Miteigentümer*innen nicht geschützt. Auch das Liquiditätsrisiko sollte man keinesfalls vernachlässigen: gerade bei veränderter Marktlage oder Wohnungsleerständen ist es sehr schwierig, einen Käufer oder eine Käuferin für seinen Anteil in der gewünschten Zeitspanne zu finden. Und: Für den Verkauf der gesamten Liegenschaft ist die Zustimmung aller Beteiligten notwendig. Bei zwanzig bis dreissig Investor*innen reicht bereits eine Stimme, um den Verkauf zu blockieren. Die reduzierte Handelbarkeit wirkt sich bei Crowd-Investitionen wertmindernd aus. Dazu kommt, dass die Anleger*innen kein Wohnrecht haben. Ebenfalls zu berücksichtigen sind die hohen Kosten der Crowdinvesting-Anbieter: die Bereitstellung der Plattform, die Vermittlungsgebühren beim Kauf sowie die Betreuung und Verwaltung der Liegenschaften kosten viel. Weil die Anbieter von Kommissionen und Gebühren leben (müssen), sind diese oftmals teurer als branchenüblich. Der Crowdfunding- Monitor Schweiz der Hochschule Luzern zeigt, dass die in der Schweiz aktiven Plattformen im Schnitt 3 % des Immobilienkaufpreises für die Vermittlung verlangen. Und etwa 5 % des Nettomietertrags werden für die Verwaltung fällig.
Zu guter Letzt: Die Rangfolge. Die Forderungen der Kreditinstitute werden im Grundbuch erstrangig, die der Crowd nachrangig eingetragen. Bei finanziellen Schwierigkeiten werden also die Kredite der Banken zuerst bedient, und dann erst die des Schwarms. Es kann also durchaus zu einem Totalverlust der Investitionen kommen.

Aktuelle Marktlage ebnet den Weg für Crowdinvesting
«Zusammenfassend kann man sagen, dass es in jüngster Vergangenheit für Eigentümer*innen von Renditeobjekten schwieriger geworden ist, ihre Finanzierungen optimal zu platzieren», erläutert Thomas Portmann. Gerade auch mit der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS hat sich einiges verändert. Die Entwicklungen haben zur Folge, dass mehr Eigenkapital verlangt wird und dadurch höhere Zinskosten bei sinkenden Marktzinsen entstehen. Neubauprojekte würden heutzutage weniger rasch realisiert werden, was dazu führt, «dass solche Crowdinvesting-Plattformen interessanter werden».
Die Auswirkungen davon sind für den ohnehin schon angespannten Wohnungsmarkt in der Schweiz gravierend: es wird noch schwieriger, bezahlbare Wohnungen mit fairen Mietverhältnissen zu finden. «Es kann davon ausgegangen werden, dass es diesen Firmen vorrangig nur um den Gewinn geht, ungeachtet ethischer Prinzipien», hält Hardegger fest. Sie hätten kaum Interesse an einer Verbesserung im Mietwesen. Ganz im Gegenteil: Sie würden es zu ihrem Vorteil machen, dass Menschen wohnen müssen. Für den Sozialdemokraten ein No-Go.

Politik in der Pflicht
Immobilien-Crowdinvesting stellt eine verlockende, aber rechtlich und ethisch fragwürdige Finanzierungsform dar. Trotz der potenziell hohen Renditen und der Demokratisierung des Immobilienmarkts stehen sowohl Investor*innen als auch Mieter*innen vor erheblichen Risiken und Unsicherheiten. Die mangelnde politische Unterstützung für die Mieterschaft und die unzureichende Regulierung dieser Plattformen werfen ernsthafte Fragen auf, insbesondere in Anbetracht der gesetzlichen Rahmenbedingungen. Es bleibt abzuwarten, ob und wie sich die Politik dieser Herausforderungen annehmen wird, während die Kluft zwischen Eigentümer* innen und Mieter*innen weiterwächst. Mit der Ende September eingereichten Motion von Casafair-Vizepräsident Beat Flach, die die Einführung von einheitlichen und fairen Renditeberechnungen fordert, ist ein weiterer Schritt in Richtung Fairness und Transparenz gemacht. Ob sich diese im Parlament durchsetzen kann, bleibt allerdings mehr als nur fraglich.

Der Autor

Julian Golob
Redaktor «casanostra» / Journalist

Aus «casanostra» 178

 

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