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Kühler Wohnen: Hitzesommer werden häufiger

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  Mi, 26.06.2024

Umweltbewusste Hausbesitzerinnen- und -besitzer versuchen, den Einbau von energiefressendenden Klimaanlagen zu vermeiden. Die alternativen Lösungen sind so individuell wie die Wohngebäude in der Schweiz. Das zeigen drei Beispiele in diesem Heft.

 

In der Schweiz ist es heute deutlich wärmer als früher. Hitzesommer häufen sich. Schwangere, Kleinkinder und ältere Menschen vertragen hohe Temperaturen oft schlecht. Doch auch jüngere leiden und finden in Tropennächten, in denen die Temperatur nicht unter zwanzig Grad sinkt, keinen Schlaf.

Gebäude gegen die Hitze wappnen

Raumplanerinnen und Architekten suchen nach Lösungen, um die Folgen der Klimaerwärmung abzufedern. Der flächendeckende Einbau von Klimaanlagen ist kein sinnvolles Allheilmittel gegen die Hitze. Es braucht mehr.

Bisher konzentrieren sich die meisten Strategien zur Klimaanpassung auf grossräumige städtische Gebiete und Neubauprojekte. Doch wie lassen sich einzelne und ältere Gebäude vor Hitze schützen? Dieser Frage ging der Verein Casafair im vergangenen Sommer mit einem Pilotprojekt nach. Kristijan Moser, Experte für Gebäudetechnik, besuchte drei Mitglieder für eine Kurzberatung.

Arbeitersiedlung in Wangen-Brüttisellen

Wangen-Brüttisellen ist eine Zürcher Agglomerationsgemeinde. Coca-Cola produziert hier Getränke, auch das Flugsicherungsunternehmen Sky-Guide operiert von hier aus. Und dann gibt es noch das malerische Waldedörfli, eine Siedlung mit 67 Wohneinheiten, die einst für die Arbeiter der Schuhfabrik Walder gebaut wurde. Mitte der 90er-Jahre wurde sie renoviert und erweitert. Hier leben Achim Schneider und Raquel Billiones mit zwei erwachsenen Söhnen in einem Reihenmittelhaus.

Am 7. Juni 2023 ist es heiss in Wangen-Brüttisellen; seit zwei Wochen scheint die Sonne. Dennoch ist es im zweiten Stock, wo Billiones gerade an einer Telefonkonferenz teilnimmt, erstaunlich kühl. Die Läden des gegen Süden gerichteten Fensters sind geschlossen. Die Sonne würde das Büro zu stark aufheizen. Ein weiterer Grund für die angenehme Raumtemperatur: Dank eines tagsüber mit einem Aussenrollladen abgedeckten Dachfensters gelingt es den Schneiders, die Wohnung in der Nacht gut durchzulüften.

Klimakarten als Hilfsmittel

Im Wohnzimmer präsentiert Kristijan Moser Achim Schneider verschiedene Klimakarten, die er auf maps.zh.ch heruntergeladen hat. So etwa die Hitzebelastung im Strassenraum, die Hitzebelastung im Siedlungsraum und die Klimaanalysekarte. «Viele Kantone und Gemeinden bieten mittlerweile solche Daten an», erklärt er. Für eine gute Raumplanung sind sie unerlässlich: So lässt sich beispielsweise vermeiden, dass ein Altersheim auf einem Wärmehotspot gebaut wird, oder man kann sicherstellen, dass kühle Luft, die von einem bewaldeten Hügel ins Ortszentrum strömt, nicht durch schlecht positionierte Gebäude blockiert wird.

Die Karten von Wangen-Brüttisellen zeigen: Das Walderdörfli ist kein Wärmehotspot. Auch die Luft zirkuliert recht gut, obwohl eine Lärmschutzwand der Bahn den Luftstrom etwas hemmt.

Vegetation kühlt

Ein Rundgang in der Siedlung macht deutlich, weshalb die Temperaturen trotz Sommerwetter recht angenehm sind: Es gibt wenig Strassen und viele Gärten. Steingärten, die sich stark erhitzen, gibt es kaum.

Der Kinderspielplatz ist allerdings leer. «Ein klassischer Planungsfehler», so Moser. «Oft fehlen bei Sitz- und Kinderspielplätzen schattenspendende Bäume.» Die Folge: Der Boden wird unangenehm heiss. Die Menschen ziehen sich in Innenräume zurück, gemeinsame soziale Strukturen im Aussenbereich verarmen.

Neben dem Spielplatz fällt eine vertrocknete Rasenfläche auf. Auch sie strahlt viel Hitze ab. Moser: «Grünes Gras wirkt dagegen kühlend, weil Pflanzen Wasser verdunsten.» Er rät daher, Grünflächen regelmässig zu giessen. Um Trinkwasser zu sparen, sei es sinnvoll, Regenwasser zu sammeln, statt ungenutzt in die Kanalisation fliessen zu lassen.

Regenwasser nutzen

Schneiders Nachbar geht mit gutem Beispiel voran und hat in seinem Garten eine Regenwassertonne installiert. «Alternativ könnte man im Garten auch eine Sickergrube anlegen, um die Umgebung mithilfe von Regenwasser zu kühlen», erklärt Moser. Also eine leicht tiefer gelegte Beetfläche, wo sich Regen ansammelt und langsam verdunstet. Nach seinem Rundgang in der Siedlung könnte sich Moser sogar vorstellen, dass sich im Walderdörfli ein grösseres, kollektiv geplantes System zur Kühlung mit Regenwasser anlegen liesse. «Aber mir ist klar, dass solche Vorhaben in grossen Eigentümergemeinschaften nicht ganz einfach umzusetzen sind.» Ein kleineres Vorhaben fände vielleicht rascher eine Mehrheit: Der Ersatz von einigen Asphaltflächen durch Pflastersteine mit Rasengitter. Je weniger versiegelt der Boden ist, desto geringer die Hitzeentwicklung.

Pergola mit Solarpanels

Als Nächstes präsentiert Achim Schneider eine interessante Idee: Er möchte im Garten eine Pergola erstellen lassen, die mit Solarpanels gedeckt ist. Diese böte dreifachen Nutzen: Kühlenden Schatten, Ökostrom zum Eigenverbrauch und einen Beitrag gegen die Klimaerwärmung.

Ein gutes und spannendes Vorhaben, findet Moser. Einziger Nachteil: Im Wohnzimmer werde es so permanent dunkler. Hier gelte es abzuwägen, ob eine ausziehbare Markise nicht die bessere Alternative wäre. Potenzial zur besseren Beschattung der Fassade sieht er auch durch eine Verlängerung des Vordachs oder indem die Fassade stärker begrünt würde: mit mehr Balkonpflanzen oder mit einer Ranke vom Garten her.

Wie sehr Schatten eine Fassade kühlen kann, zeigt eine Wärmebildaufnahme des Hauses der Familie Zürcher-Budmiger im luzernischen St. Erhard: im beschatteten Teil beträgt die Oberflächentemperatur 33,7 Grad, im besonnten bei 53,9 Grad. Das Ehepaar hat Kristijan Moser angeschrieben, weil es trotz Minergiebau im Sommer die Hitze nicht loswird.

Hitze im Minergiehaus

Da beide Durchzug gar nicht mögen, ist die Kühlung der Innenräume durch Lüften während der Nacht nur beschränkt eine Option. Aktuell bleibt die Hitze im Giebel zudem gestaut, weil die Fenster, über die die Luft ins Freie strömen könnte, zu tief liegen. «Ein automatisiertes Fenster weiter oben könnte eventuell Abhilfe schaffen», vermutet Moser. «Damit sich die Investition tatsächlich lohnt, müsste man vorgängig genauere Messungen durchführen, um die Luftströmungen zu beurteilen.»

Südseitig ist das Giebeldach durch die Solar- und Photovoltaikanlage komplett eingedeckt, Fenster könnten also einzig nordseitig eingebaut werden. Um das Aufheizen des Gebäudes zu verlangsamen, schlägt Moser auch in diesem Fall vor, die Fassade zu begrünen. Prüfenswert seien zudem technische Lösungen. Das 2004 erstellte Einfamilienhaus verfügt über eine automatisierte Lüftung. Je nach Modell lassen sich solche Lüftungen aufrüsten, sodass die ins Haus strömende Frischluft mit gesammeltem Regenwasser gekühlt wird (adiabate Abluftkühlung). Moser: «Hier gilt es nachzuforschen, wo die technische Entwicklung des verwendeten Systems derzeit steht.» Eine weitere Option wäre das sogenannte Freecooling. Dabei nutzt man das Erdreich als Kältereservoir. Um die Kühle zu nutzen, sind zusätzliche technische Einbauten nötig. Eine dritte Möglichkeit: Die Familie heizt mit einer Luft- Wasserwärmepumpe. Solche Wärmepumpen können auch zur Kühlung eingesetzt werden. «Vereinfacht gesagt, lässt man diese dann rückwärts laufen», erklärt Moser. «Eine genauere Machbarkeitsprüfung könnte zeigen, wie sehr man für solche technischen Lösungsansätze in die Struktur des Gebäudes eingreifen müsste.»

Nach Mosers Besuch forschte die Familie weiter nach und stiess auf eine weitere mögliche Problemursache: «Unsere In-Dach-Photovoltaikanlage wurde vor über zehn Jahren installiert und direkt auf die bestehende Konterlattungen des Ziegeldachs montiert.» Heutige In-Dach-Anlagen werden mit mehr Abstand zum Unterdach montiert, damit die Luft besser zirkulieren kann. «Nun lassen wir den oberen Abschluss anpassen und hoffen, dass sich so künftig weniger Hitze unter der Photovoltaikanlage staut.»

Treppenhaus nachts auskühlen

Das dritte Fallbeispiel steht in Basel: Ein liebevoll renoviertes dreistöckiges Reihenhaus aus der Jahrhundertwende. Das Haus gehört der Familie Schwegler, die die oberen beiden Stockwerke bewohnt. In den unteren Bereichen leben Mieter. Hinter dem Haus befindet sich ein malerischer Garten mit viel Grün. Kristijan Moser schlägt vor, das Fenster der Türe zum Garten künftig nachts neu zu öffnen und es zum Schutz gegen Diebe mit einem Gitter zu versehen. «In vielen Häusern wird die Chance, das Treppenhaus nachts auszukühlen, zu wenig genutzt.» Zusätzlich würde er das bereits bestehende Dachfenster mit automatisiertem Antrieb und Regensensor aufrüsten. Der Garten der Schweglers ist schon heute eine kleine Oase; der oberste Balkon ist allerdings wenig begrünt. «Mit zusätzlicher Bepflanzung liessen sich noch einige Grade rausholen», meint Moser. Und auch hier schlägt er vor, eine Sickergrube anzulegen, um vermehrt von Verdunstungskälte zu profitieren. Das Anlegen von Verdunstungsmulden ist ein Konzept, das derzeit im Städtebau wieder häufiger gezielt angewendet wird. Oft spricht man von der «Schwammstadt». Moser: «Im Kleinen lässt sich das auch in Privatgärten gut umsetzen.»

Tipps für kühlere Wohnräume

Böden entsiegeln: Begrünte Innenhöfe und Gärten heizen sich weniger auf als Asphaltflächen und Steingärten.

Bäume pflanzen: Im Schatten eines Baumes liegt die Temperatur bis zu 20 Grad tiefer als wenige Meter daneben. Grund dafür sind der Schatten und die Verdunstungskälte. Ein Baum verdunstet oft mehrere hundert Liter Wasser pro Tag.

Schatten schaffen: Sonnenstoren, geschickt platzierte Balkone oder Balkonpflanzen halten die direkte Sonneneinstrahlung fern und schützen so vor starker Hitzeentwicklung.

Fassaden und Dächer begrünen.

Regenwasser nutzen. Verdunstendes Wasser führt spürbar Wärme ab.

Sickergrube im Garten: Anstatt das Regenwasser direkt in die Kanalisation zu leiten, kann man es in ein leicht vertieftes Beet führen (Verdunstungsmulde).

Brunnen- und Wasserspiele: An Orten im Aussenraum, wo keine Begrünung möglich ist.

Nachtauskühlung: Zum Beispiel durch automatisch gesteuerte Fenster im Treppenhaus.

Mit Nachbarn kooperieren: Manchmal lohnt es sich, für mehrere Parzellen gleichzeitig zu planen.

Klimakarten der Gemeinde studieren: Wo verlaufen kühlende Luftströme? Wo befinden sich Hitzeinseln?

Die Autorin

Mirella Wepf© zvg/mad
Mirella Wepf
Journalistin

Aus «casanostra» 176

Nationales Netzwerk für Klimaanpassung

Der neue Verein «Netzwerk Tau» will schweizweit Fachleute aus dem Bau- und Planungsbereich zusammenbringen, um gemeinsam Lösungen voranzutreiben, das Knowhow zu möglichen Klimaanpassungsmassnahmen zu bündeln. Informationen und Anmeldung auf hitzetauglich.ch

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