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Boden befreien: Weg mit dem Asphalt

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Immer mehr Bodenfläche in der Schweiz ist versiegelt: Wasser fliesst ab, Pflanzen haben keinen Lebensraum und die Hitze entwicklung macht den Raum auch für Menschen unattraktiv. Der Kampf gegen die Versiegelung läuft auf verschiedenen Ebenen, aber es bleibt schwierig.

Es regnet. Nicht Landregen, sondern ein Starkregen, wie er in der Schweiz häufiger wird. An der Bushaltestelle bildet sich ein Teich, der durch den heranfahrenden Bus zur unerwünschten Dusche für die Wartenden wird, an der Quartierstrasse rauscht ein meterbreiter Bach abwärts, auf dem Pausenplatz der Schule wächst die Pfützenlandschaft und die Kinder proben ihre Weitsprungkünste. Die Abläufe gurgeln, das sogenannte Meteorwasser fliesst zu einem grossen Teil rekordschnell und ungenutzt durch die Kanalisation in den lokalen Fluss oder See und ist mitschuldig an Überflutungen und Bodenerosion.

So oder ähnlich kennen wir unsere Stadtquartiere, wenn es stark oder ausdauernd regnet. Wir haben uns daran gewöhnt. Schliesslich haben betonierte und asphaltierte Flächen grosse Vorteile: Sie sind belastbar, unterhaltsarm, putzbar, vielfältig zu nutzen, die Schuhe bleiben sauber und man kommt auch auf Rollen und Rädern gut voran.

 Hitze, Trockenheit, Wassermassen

Neben den Vorteilen haben die sogenannten versiegelten Flächen auch entscheidende Nachteile: Sie sind biologisch gesehen wertlos, mitverantwortlich für urbane Hitzeinseln und können kein Regenwasser aufnehmen. Diese drei Faktoren hängen zusammen: Wo nichts wächst, wird es heisser, wo es zu heiss ist, wächst nichts, wo Regenwasser nicht versickern kann, haben Pflanzen kein Wasser und der kühlende Effekt von Pflanzen, Schatten und Verdunstung aus dem Boden entfällt – es bleibt heiss.

Werden Flächen hingegen durchlässig gestaltet und generell nur dort befestigt, wo es wirklich nötig ist, hat das entscheidende Vorteile: Bäume haben mehr Wasser und mehr Wurzelraum und die Verdunstung von gespeichertem Wasser bringt Kühle. Insekten und andere Lebewesen finden Lebensräume, starke Regenfälle versickern oder werden zur Nutzung gesammelt statt Bäche zu bilden und Keller zu fluten, und die Menschen haben – je nach Gestaltung – eine attraktive, gesundheitsfördernde Umgebung.

Presslufthammer gegen Asphaltflächen

Wie können wir Regen dort versickern lassen, wo er fällt? Und wie gehen wir mit versiegelten Flächen im Kontext von heissen Sommern und Trockenheit um? Mit diesen Fragen befassen sich in der Schweiz verschiedene Forschungsteams und Firmen, aber auch Private. Während sich die Motivationen und Herangehensweisen unterscheiden, bleibt die Massnahme letztlich die gleiche: Flächen aufbrechen – entsiegeln, wie es im Fachjargon heisst – oder erst gar nicht verschliessen. Wo die Asphaltknackerinnen aus Zürich am Werk sind, geht es ans Eingemachte: Mit Presslufthammer, Pickel, Schaufel und Bagger werden Parkplätze vom Asphalt befreit, Vorplätze umgestaltet und Hinterhöfe in Gärten verwandelt. Die Gründerinnen Bettina Walch und Isabella Sedivy beraten, ziehen die Fäden zu geeigneten Gartenbaufirmen und zu den Finanzierungstöpfen der Behörden. Unterdessen konnten sie Zürich, Winterthur und Luzern als Partnerstädte gewinnen und wurden mehrfach für ihr Engagement ausgezeichnet. Neben dem Vorteil für die Natur und gegen Hitze und Überschwemmungen sehen sie auch einen Gewinn für die Menschen: Eine entsiegelte Fläche, ein naturnah gestalteter Spielplatz oder ein Garten seien auch einfach schöner und hätten als Aufenthaltsort mehr zu bieten als eine Teerfläche mit Bänkli und Schaukel.

Was auffällt: Die Beispielprojekte der Asphaltknackerinnen sind keine Grossprojekte: Manchmal geht es um ein paar Quadratmeter, manchmal weicht ein Parkplatz für fünf Autos. Keine Idee scheint zu klein, um angepackt zu werden.

Vollendete Tatsachen helfen

«Man muss realistisch sein: Bei grossen Akteuren müssen die Behörden klare Vorgaben machen, sonst haben wir keine Chance», erklärt Silvia Oppliger, Leiterin des Netzwerks Schwammstadt. Die Vision Schwammstadt fördert einen neuen, naturnahen Umgang mit Regenwasser. Der Regen soll dort versickern, wo er fällt und nicht mehr in der Kanalisation verschwinden. Die Stadt speichert Regenwasser wie ein Schwamm und gibt dieses bei Hitze wieder ab – entweder direkt oder über Pflanzen. Das verdunstende Wasser kühlt die Umgebung. Die Schwammfunktion entlastet zudem die Kanalisation, verhindert Überschwemmungen. Eine Siedlung mit Schwammfunktion leistet in der Regel auch etwas fürs Auge und für die Biodiversität, aber das steht hier nicht im Vordergrund.

«Unterdessen haben wir Überbauungsvorhaben, bei denen die Behörden auf Stufe Gestaltungsplan oder Bebauungsplan vorgeben, dass das Regenwasser vor Ort bewirtschaftet werden muss. Es ist also gar keine Regenwasserkanalisation mehr vorgesehen», erzählt Oppliger. Dieses fait accompli zeigt Wirkung: Die Akteur*innen müssen Lösungen finden. Mancherorts sind diese naturnah und führen zu wertvollen Ökozonen oder lauschigen Ecken, an anderer Stelle sind die Lösungen technisch. Oppliger sieht das pragmatisch: «Wir müssen immer schauen, wo wir sind und was an diesem Standort möglich ist.»

Tigermücken? Kein Problem.

Jede gute Idee muss Kritik aushalten, das ist bei der Entsiegelung nicht anders. Zwei Themen kommen aus der Biologie: Fördern Tümpel und Teiche die Tigermückenplage? Und: Sind offene Flächen nicht einfach ein neuer Standort für invasive Neophyten? Silvia Oppliger relativiert: «Tigermücken mögen keine naturnahen Flächen. Da sind die volle Giesskanne oder der Blumenuntertopf im Garten das grössere Problem.» Etwas anders sieht es bei den invasiven Neophyten wie dem Berufskraut oder der Goldrute aus. Diese sind tatsächlich schnell zur Stelle, wenn eine neue Brache entsteht. «Man muss vor allem am Anfang aufmerksam sein. Sobald sich andere Pflanzen etabliert haben, wird es einfacher», erklärt Oppliger. Wenn es um sickerfähig oder naturnah gestaltete Wege und Plätze geht, kommen weitere Kritikpunkte ins Spiel. Bei naturnahen Pausenplätzen steigt beispielsweise der Reinigungsaufwand für das Abwartsteam. Auch für Menschen, die auf einen Rollator oder einen Rollstuhl angewiesen sind, können Kieswege oder Mergelbeläge Nachteile bringen.

Finanzielle Fragen

Ein dauernder Spielverderber ist der Faktor Geld: Projekte dieser Art sollen Bauvorhaben verteuern und verkomplizieren, tönt es aus entsprechenden Kreisen. Doch so klar ist das nicht, die Datengrundlage ist mager. Das liegt daran, dass es kaum möglich ist, ein Projekt mit beiden Varianten komplett zu planen und die Kosten zu vergleichen. Der Preis einer Lösung mit vielen sickerfähigen, unversiegelten Flächen und einer lokalen Regenwasserbewirtschaftung hängt von zahllosen Rahmenbedingungen ab: Welcher Untergrund erwartet die Bauherr*innen, welche Leistungen müssen die Flächen erbringen, wieviel Platz steht zur Verfügung? All das hat einen Einfluss auf die Initialkosten. Im Unterhalt dürften die Unterschiede klein sein. Eine Wiese muss man vielleicht mähen, eine Asphaltfläche aber reinigen. Bei einem geteerten Parkplatz führen Frostrisse oder Pfützenbildung zu Kosten, bei Rasengittersteinen müssen die Neophyten in Schach gehalten werden. Silvia Oppliger resümiert: «Es ist vor allem Überzeugungarbeit. Man muss die richtigen Argumente für die richtigen Leute finden.»

In die falsche Richtung

«Dank der Siedlungsentwicklung nach innen hat sich das Siedlungswachstum zwar etwas verlangsamt, doch die Bodenversiegelung hat sich im letzten Jahrzehnt wieder beschleunigt », schreibt das Bundesamt für Umwelt BAFU zum Thema. Die Bodenstrategie Schweiz, die der Bund 2020 verabschiedet hat, verlangt, dass der Bodenverbrauch bis 2050 auf netto Null sinkt. Aktuell ist davon noch wenig zu spüren. Der übermächtige Gegentrend, die praktisch ungebremste Zersiedelung der Schweiz, ist in vollem Gange. Wer Luftbilder aus den Achtzigerjahren mit aktuellen vergleicht, schluckt schwer: Neben der von Architekturkritiker Benedikt Loderer schon 2012 angemahnten Hüslipest zeigen die Vergleiche auch den Verschleiss durch neue Industriequartiere und Verkehrsinfrastruktur. Zersiedelung geht einher mit Versiegelung. Gerade bei Industrieflächen wird pragmatisch, flächig und kostengünstig gebaut – Asphaltwüsten um flache Hallen, überall Strassen, Zufahrten, Vor- und Wendeplätze, Containerstellflächen und Parkplätze. Alles Flächen, die ohne andere Weisung oder bewusste Entscheidung in der Regel automatisch versiegelt werden. Während in den Städten um einzelne Quadratmeter Blumenwiese gekämpft und sorgfältig verdichtet wird, vergeudet die Schweiz jährlich quadratkilometerweise Kulturland im Umland. Silvia Oppliger bestätigt: «Bei Akteuren mit Interesse für Grünräume, naturnahe Gestaltung und Biodiversität stossen wir auf offene Türen. Wo vor allem aufs Finanzielle geschaut wird, müssen wir viel mehr Aufklärungsarbeit leisten.» Es gibt noch viel zu tun.

  • Boden befreien: Weg mit dem Asphalt

    : ©FotografiebyStefanZimmer

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