Spiel- und Lebensraum für Kind und Käfer
Kluge Spielplätze sind mehr als Schaukel, Rutschbahn und Wippe. Brauchen aber etwas Mut
In den meisten Kantonen schreibt das Baugesetz bei einem Neubau ab drei Wohneinheiten den Bau eines Spielplatzes vor. «Das ist gut gemeint», sagt Tom Achermann, «aber wohl mit ein Grund, dass wir in der Schweiz so viele langweilige Spielplätze haben.» Achermann ist Spielplatzbauer, Landschaftsgärtner und Mitinhaber der Spielgarten GmbH. «Wer einen Spielplatz bauen muss, schaut oft mehr aufs Portemonnaie als auf die Kinder», weiss er. Das Resultat sind einsame Tierwippen in Raseneinöde, Sandkästen von exakt einem Quadratmeter, Schaukeln umgeben von Fallschutzwüste. Bespielt werden diese selten. Ein Spielgerät ist noch kein Spielplatz. «Wenn ich eine Rutschbahn runterrutsche, spiele ich nicht, ich konsumiere die Spielfunktion der Rutschbahn», stellt Achermann fest. Spielgeräte dienen primär zur Markierung: Hier darf ich spielen. Das eigentliche Spielen findet erst statt, wenn mit anderen Kindern um die Wette gerutscht, die Rutsche hochgerannt oder rückw.rts runtergesaust wird. Spielen ist für Kinder mehr als Zeitvertreib. Spielen ist biologisch notwendig für die Hirnentwicklung, denn Spielen bedeutet Lernen auf allen Ebenen. Diverse Studien belegen, dass die Zeit, welche Kinder draussen verbringen, in direktem Zusammenhang mit der Spielraumqualität im unmittelbaren Wohnumfeld steht.
Je grüner und ungefährlicher, desto mehr spielen die Kinder draussen. Sabine Binder war lange verantwortlich für Aussenraumgestaltung in Winterthur. Seit September 2023 begleitet sie als Mitgründerin der kreis & rund GmbH sozialräumliche Projekte. Auch sie kennt zu viele ungenutzte Plätze. «Aber», sagt sie, «wer ein Haus besitzt, hat viele Möglichkeiten, eine positive Veränderung herbeizuführen.» «Spielraumqualität lohnt sich immer», ist Binder überzeugt. Die Topografie ist wichtig. Hügel machen den Raum spürbar und laden zum Rutschen, Schlitteln, Klettern ein. Ein Weidenhüsli, ein Naschgarten mit Beeren, ein Heckenlabyrinth, Sitzmauern, Steine, Sand und Holz sind zum Spielen attraktiv und vergleichsweise günstig. Totholzhecken leisten einen Beitrag zur Biodiversität und bilden gleichzeitig eine hübsche Abgrenzung. In einer solchen Umgebung fühlen sich nebst Kindern auch Pflanzen und allerlei Kleingetier wohl. Und «auch Erwachsene brauchen mehr als nur Rasen». Das werde oft unterschätzt, sagt Binder. Attraktive Spielplätze sind Begegnungsorte für die ganze Nachbarschaft. Doch professionelle Spielplatzgestaltung ist nicht billig. Der Bau eines Häuschens mit Möblierung kostet schnell viertausend Franken. Dazu kommt die Arbeit der Landschaftsgärtner, welche nochmals mit zwei- bis dreitausend Franken zu Buche schlagen kann. Spielgeräte aus dem Katalog sind nicht wesentlich günstiger, der Spielwert aber geringer.
Mitreden und mitbauen
Ein Beispiel einer gelungenen Spielraumgestaltung findet sich in der Berner Baumgartensiedlung. Eigentümer*innen haben eine Aufwertung angeregt und ein Konzept erarbeitet. Nachdem die drei beteiligten Eigentümergemeinschaften die Finanzierung gutgeheissen haben, wurde die Krummholz GmbH mit der Umsetzung eines Baumhauses beauftragt. In einer «Mitmachbaustelle» haben Kinder und Erwachsene aus der Siedlung einen Tag lang mitgebaut. Eine Erfahrung mit allen Sinnen. Jerry Wyssmann, Geschäftsleiter bei Krummholz, erinnert sich an ein Kind, dass den Finger in ein noch warmes, frisch gebohrtes Holzloch gesteckt hat, und feststellte: «Mhm, Fingersauna!» Eine frühe Einbindung der zukünftigen Nutzer*innen, sagt Binder, führt dazu, «dass später mehr Sorge getragen wird». Mittlerweile gehören Partizipationsworkshops und Mitmachbaustellen für Spielplatzbauer zum Alltag. Meist reichen ein, zwei Treffen, um einen ersten Entwurf zu skizzieren. Wer vor Ort wohnt, weiss am besten, was gebraucht wird, welche Zonen wie genutzt werden, wo wann Schatten liegt oder ob es windig und darum für einen Sitzplatz ungeeignet ist. Wichtig sei es, sagt Binder, unerwünschte, nicht kontrollierbare Sozialkontakte zu vermeiden. Öffentliche oder halböffentliche Zonen sollen darum mindestens vier Meter von privaten Sitzplätzen entfernt sein. Wenn Menschen sich kontrolliert fühlen, führt das zu Nichtnutzung. Das ist mit ein Grund, warum so viele Grillplätze bei Mehrfamilienhäusern selten bis nie genutzt werden. Meist stehen diese mitten in einer Rasenfläche ohne Sicht- und Sonnenschutz. Bäume oder eine Hecke aus einheimischen Sträuchern schaffen Atmosphäre, spenden Schatten und Lebensraum für Tiere. Auch auf Spielplätzen sind Büsche und Bäume für Schatten und Verstecke wichtig. Grössere Kinder brauchen auch «erwachsenenfreie Zonen». Wo Kleinkinder spielen, braucht es in der Nähe Sitzgelegenheiten für Erwachsene. Binder empfiehlt wo immer möglich bewegliches Mobiliar. Das können Festbänke sein, die ihren Stammplatz unter einem Balkon haben. Noch besser sind robuste Stühle, für ältere Menschen mit Lehne. Binders Erfahrung zeigt, dass die Angst vor Diebstahl unbegründet ist. Die Nutzung aber ist bei mobilem Mobiliar viel höher.
Unfälle verhindern, Spielen erlauben
Wie rege das Baumhaus bespielt wird, stellt Jerry Wyssmann an den starken «Spielspuren» fest, wenn er im Auftrag der Siedlung jährlich die Sicherheit kontrolliert. Sicherheitsnormen sind ein Reizthema. Wartung und Kontrolle kosten Geld. Dennoch ist Achermann nicht einverstanden, wenn geklagt wird, dass man heute auf keinen Baum mehr klettern darf. «Die Normen stellen sogar ausdrücklich fest, dass Stürze, auch mal ein gebrochener Arm, zur Kindheit dazu gehören und der Umgang mit Gefahren gelernt werden muss.» Tatsächlich werden gemäss BFU jährlich fast 10 000 Unfälle auf Spielplätzen gemeldet. «Ziel der Sicherheitsnormen ist es, lebensgefährliche Unfälle zu vermeiden.» Wenn Holz fault und der Tragbalken eines Schaukelgerüsts einstürzt, werde es richtig gefährlich. «Ich vergleiche das gerne mit einem Lift. Kein Erwachsener würde einen Lift nutzen, von dem er weiss, dass er nicht gewartet wird.»
In den meisten Kantonen gelten Spielplätze bei einem Mehrfamilienhaus als öffentlich. Bei einem Unfall haftet die Werkeigentümerschaft nur dann nicht, wenn alle erforderlichen und zumutbaren Sicherheitsmassnahmen beachtet wurden. Daran ändern auch Hinweise wie «Privat» oder «Jede Haftung wird abgelehnt» nichts. Zu beachten ist vor allem die Norm SN EN 1176, welche vorschreibt, dass ab einem Meter Fallhöhe ein Fallschutz nach SN EN 1177 notwendig ist. Dieser kann aus Fallschutzmatten aus Kunststoff oder aber aus einer Kies- oder Holzschnitzelschicht von mindestens 30 Zentimeter bestehen. Rasen gilt nur unterhalb eines Meters als Fallschutz.
Nach Norm gebaute Spielgeräte verfügen häufig über Einstiegshürden wie extra weite Sprossenabstände bei Leitern. Diese sollen verhindern, dass zu kleine Kinder die Geräte nutzen. Binder zitiert dazu den verstorbenen Zürcher Spielplatzpionier Toni Anderfuhren: «Unfälle passieren meist, wenn Eltern pushen.»
Im Falle des normgerechten Baumgarten-Baumhauses haben die Kinder trotzdem einen Weg gefunden, aufs Dach zu klettern. Ein paar Fenster, die als Kletterhilfe gedient hatten, mussten deshalb nachträglich weichen.
Bauen, verändern, bewegen
Vor kurzem hat Wyssmann eine neue Anfrage aus der Baumgartensiedlung erhalten. Gewünscht ist ein weiteres Spielhäuschen, für die Kleinsten, diesmal ebenerdig. Der Platz um den bestehenden Brunnen soll mit einem Kieshaufen aufgewertet werden.
Elementar fürs Spielen, sind sich die Fachleute einig, ist das «verändern können». Kinder wollen bauen, gestalten, beobachten, was geschieht, ausprobieren, scheitern und von Neuem anfangen. «Die einfachste Geschichte», sagt Binder «ist ein Riesensandhaufen. Das funktioniert immer». Kombiniert mit Wasser, steigt der Spielwert exponentiell. Und was ist mit Katzendreck im Kindersand? «Abdecken», rät Binder. Und «Katzen mögen Ruhe. Auf einem viel bespielten Sandhaufen wird es wenig Katzendreck geben.»
Nebst Kies oder Sand sind auch Holzrugeli und Bretter ein geniales Spielmaterial. Es entstehen Wippen, Hindernisparcours, Brücken und mehr. Allerdings verlangt mobiles Mobiliar etwas mehr Pflegeaufwand. Das Holz muss regelmässig aus Gefahrenzonen weggeräumt werden. Ein weiteres zentrales Spielelement ist das Bewegen, Klettern und Balancieren. Viele klassische Spielgeräte sind darauf ausgerichtet. Geräte, die von mehreren Kindern gleichzeitig genutzt werden können wie eine extrabreite Rutsche oder eine Nestschaukel, haben dabei deutlich höheren Spielwert. «Andere Kinder sind für die Kinder das wichtigste Spielgerät», sagt Achermann.
Weil Kinder Gesellschaft Gleichaltriger brauchen, muss es möglich sein, dass auch «fremde» Kinder den «privaten» Spielplatz nutzen. Wird ein Platz allzu stark genutzt, steigt jedoch auch das Konfliktpotenzial. «Wenige, nachvollziehbare Spielplatzregeln sind sinnvoll. Eine Tafel mit unzähligen Verboten hingegen», sagt Binder, «hat wenig Wirkung». Ein Abfallkorb hilft mehr gegen Littering als der bewusste Verzicht darauf. Auch gemeinsame Putz- und Aufräumtage haben sich bewährt. Jugendliche, die auf dem Spielplatz herumlungern, werden im Idealfall eingeladen, einen Bereich nach ihren Bedürfnissen zu gestalten und dafür Verantwortung zu übernehmen.
Kinder haben überall dieselben Bedürfnisse
Schaukeln und Rutschen, die in Gärten von Ein- und Zweifamilienhäusern stehen, stellen rechtlich gesehen keinen Spielplatz, sondern Spielzeug dar. Das bedeutet, dass Rasen als Fallschutz bis zu 2,5 Metern ausreicht. Ein Baumhaus und Spielgeräte Marke Eigenbau sind also erlaubt. Die Bedürfnisse der Kinder sind dieselben: Auch im Einfamilienhausgarten wollen Kinder bauen, sich verstecken und bewegen können. Eine Matschküche, eine Strickleiter am Baum und ein selbstgebautes Spielhaus zum Beispiel. Und es braucht auch hier andere Kinder. Wenn es gelingt, Gärten durch Türchen und Schlupflöcher in Hecken zu verbinden, ist das für Kinder ein Riesengewinn.