Am 9. Februar 2020 entscheiden die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger über die eidgenössische Volksinitiative «mehr bezahlbare Wohnungen». Casafair unterstützt das Volksbegehren des Mieterinnen- und Mieterverbands und ist Teil der Abstimmungsallianz. Aus gutem Grund freilich.
© zvg/mad
Claudia Friedl, Präsidentin Casafair Schweiz, Nationalrätin SP/SG
«Immer höhere Mieten treiben auch die Preise für Wohneigentum massiv in die Höhe, sodass für viele Leute Wohneigentum unerschwinglich wird. Casafair plädiert für faire Mieten statt für grosse Gewinne. Auch VermieterInnen sollen Verantwortung übernehmen und sich gegen die Preistrei berei bei den Mieten einsetzen; immerhin ist Wohnen ein Grundbedürfnis, ein Verfassungsauftrag und damit auch ein Menschenrecht.»
Der Schweizer Wohnungsmarkt wird zunehmend zu einem Paradoxon: Rekordtiefe Hypothekarzinsen, kaum Teuerung – und dennoch steigen die Mieten immer weiter. Der Schweizerische MieterInnen-Verband hat errechnet, dass rund eine halbe Million Haushalte darum bei Kleidern und Gesundheitsausgaben sparen müssen. Eine Fehlentwicklung, welcher die Initiative «Mehr bezahlbare Wohnungen» einen Riegel schieben will.
Als Schlüssel sieht das Volksbegehren die Förderung des gemeinnützigen Wohnungsbaus: mindestens 10 Prozent der neu gebauten Wohnungen sollen demnach im Besitz von Trägern und Organisationen des gemeinnützigen Wohnungsbaus sein. Bund, Kantone und Gemeinden sollen geeignete Grundstücke – auch solche im Besitz bundesnaher Betriebe – mit einem entsprechenden Vorkaufsrecht belegen.
Das ist beileibe kein übertriebener regulatorischer Eingriff: In Wien etwa sind rund 80 Prozent der Wohnungen gemeinnützig. Derweil hat der Anteil gemeinnütziger Wohnungen hierzulande binnen dreier Jahrzehnte laufend abgenommen – Wohnraum wurde im Gegenzug mehr und mehr zum Spekulationsgut. Ganz besonders in den urbanen Regionen.
Das Problem trifft durchaus nicht Mieterinnen und Mieter alleine; die bisweilen ausufernden Mietpreise beeinflussen auch die Verkaufspreise. Derart dramatisch gar, dass Wohneigentum zusehends unerschwinglich wird.
Darum empfiehlt Casafair ein klares Ja zur Eidg. Volksinitiative «Mehr bezahlbare Wohnungen» am 9. Februar 2020.
Text: Andreas Käsermann
Der Initiativtext
Die Bundesverfassung1 wird wie folgt geändert:
Art. 108 Abs. 1 und 5–8
1 Der Bund fördert in Zusammenarbeit mit den Kantonen das Angebot an preisgünstigen Mietwohnungen. Er fördert den Erwerb von Wohnungs- und Hauseigentum, das dem Eigenbedarf Privater dient, sowie die Tätigkeit von Trägern und Organisationen des gemeinnützigen Wohnungsbaus.
5 Er stellt sicher, dass Programme der öffentlichen Hand zur Förderung von Sanierungen nicht zum Verlust von preisgünstigen Mietwohnungen führen.
6 Er strebt in Zusammenarbeit mit den Kantonen eine stetige Erhöhung des Anteils der Wohnungen im Eigentum von Trägern des gemeinnützigen Wohnungsbaus am Gesamtwohnungsbestand an. Er sorgt in Zusammenarbeit mit den Kantonen dafür, dass gesamtschweizerisch mindestens 10 Prozent der neu gebauten Wohnungen im Eigentum dieser Träger sind.
7 Er ermächtigt die Kantone und die Gemeinden, zur Förderung des gemeinnützigen Wohnungsbaus für sich ein Vorkaufsrecht für geeignete Grundstücke einzuführen. Zudem räumt er ihnen beim Verkauf von Grundstücken, die in seinem Eigentum oder jenem bundesnaher Betriebe sind, ein Vorkaufsrecht ein.
8 Das Gesetz legt die Massnahmen fest, die zur Erreichung der Ziele dieses Artikels erforderlich sind.
Art. 197 Ziff. 122
12. Übergangsbestimmung zu Art. 108 Abs. 1 und 5–8 (Wohnbau- und Wohneigentumsförderung)
Ist die Ausführungsgesetzgebung zu Artikel 108 Absätze 1 und 5–8 zwei Jahre nach dessen Annahme durch Volk und Stände noch nicht in Kraft getreten, so erlässt der Bundesrat auf diesen Zeitpunkt hin die Ausführungsbestimmungen vorübergehend auf dem Verordnungsweg.
1 SR 101
2 Die endgültige Ziffer dieser Übergangsbestimmung wird nach der Volksabstimmung von der Bundeskanzlei festgelegt.
Mehr Infos zur Volksinitiative
www.bezahlbare-wohnungen.ch
Keyplayer gemeinnützige Wohnbaugenossenschaften
Ein wichtiger Partner bei der Umsetzung der Initiative «Mehr bezahlbare Wohnungen» werden die gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaften sein, deren Verband heuer sein 100-jähriges Bestehen feiert. Mehr noch: das Volksbe gehren nimmt das Kernanliegen des Verbands Wohnbaugenossenschaften Schweiz auf, wie Verbandspräsident Louis Schelbert sagt.
© Parlamentsdienste
«Die Schweiz hat in den urbanen Zentren ein Wohnungsproblem. Der Leerwohnungsbestand ist sehr tief und es mangelt an guten preisgünstigen Wohnungen. Besonders Haushalte mit beschei denen Einkommen haben Probleme. Mehr Genossenschaftswohnungen können einen entscheidenden Beitrag zur Lösung dieser Probleme bieten. Leider ist ihr Marktanteil in den letzten Jahren auf knapp fünf Prozent gesunken. Damit der Anteil wieder gesteigert werden kann, braucht es die Initiative. Davon profitieren insbesondere Familien, Betagte, Bedürftige und Be hinderte, deren Bedürfnisse gemäss Bundesverfassung berücksichtigt werden müssen.»