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Lokale Elektrizitätsgemeinschaften – Solarstrom teilen statt einspeisen

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  Di, 10.09.2024

Ab 2025 ist es einfacher, den Solarstrom vom Dach mit den Nachbarn zu teilen, statt ihn ins Netz einzuspeisen. Lokale Elektrizitätsgemeinschaften und virtuelle Zusammenschlüsse bieten neue Chancen, aber auch Herausforderungen.

Solaranlagen sind weiter auf dem Vormarsch. Unabhängigkeit von grossen Betreibern, ein ökologischer Beitrag und je nach Situation auch ein finanzielles Plus sind die grossen Anreize für den privaten Bau von Photovoltaikanlagen in der Schweiz. Die Energieperspektiven 2050+ der Eidgenossenschaft messen der Solarenergie eine sehr grosse Bedeutung für die Energiewende zu: 67 Terawattstunden Elektrizität pro Jahr seien mit geeigneten Dächern und Fassaden schweizweit zu erzeugen, das sind mehr, als Wasserkraft und Kernkraftwerke in der Schweiz zusammen produzieren.

Klein anfangen, gross denken

Für Thomas Beer, Hausbesitzer in Rubigen BE, war 2020 klar: «Wir müssen weg von den fossilen Energien.» Zusammen mit seinem Nachbarn ging er über die Bücher, studierte Möglichkeiten und Systeme. Bald war klar: «Wir gründen einen ZEV, einen Zusammenschluss zum Eigenverbrauch. Ich wollte mehr tun, als nur für uns etwas Solarenergie produzieren.» Beers Haus liegt in einer fünfzehnjährigen Wohnsiedlung in Rubigen im Kanton Bern. Die Häuser sind im Eigentum, die Grünräume, Garagen und Zufahrten sind genossenschaftlich verwaltet. Der Nährboden für ökologische Ideen war gut, die Leute waren interessiert. «Am Anfang hatten wir grosse Pläne. Wir wollten das ganze Quartier mit fünfzig Parteien einbeziehen. Wir haben viel erklärt, informiert und probiert, aber wir mussten zurückbuchstabieren.» Am Ende waren nach zwei Jahren Projektphase nur sieben Parteien im Boot. Dieser ZEV existiert bis heute und funktioniert: Zwei Solarproduzenten bilden zusammen mit fünf reinen Nutzungsparteien einen Zusammenschluss. Bald kommt ein dritter Produzent dazu. Jeder Produzent hat einen eigenen Zähler, daneben gibt es den gemeinsamen Wechselrichter und eine zentrale Zählerstation. «Der Aufwand war gross. Wir mussten uns zuerst jede Menge Wissen aneignen.» Vertragsfragen, technische Knacknüsse, Systemfragen und der nötige Zeitaufwand sind nicht zu unterschätzen.

Grosser administrativer Aufwand

Die Komplexität ist ein häufiger Hinderungsgrund für private Zusammenschlüsse im Energiebereich. Es braucht Biss und einen langen Atem, bis ein Projekt realisiert ist. «Man muss es sich ein wenig zum Hobby machen». sagt Thomas Beer schulterzuckend. Nun geht es beim Rubiger ZEV um die Frage, ob ein Wechsel in eine LEG (Lokale Elektrizitätsgemeinschaft) in Frage kommt. Nach wie vor reizt die beiden Nachbarn die Idee, das Ganze grösser aufzuziehen und auf Gemeindeebene Lösungen zu suchen. Noch schreckt der administrative Aufwand Beer ab. Nach der ersten Euphorie haben sie entschieden, die Sache zuerst einmal zu beobachten. Wenn es sich bewährt, ist klar: «Das könnten wir zu zweit nicht stemmen. Für die Umsetzung eines grösseren Projekts bräuchten wir Unterstützung.» Eine Idee wäre, die Administration über die Gemeindeverwaltung zu organisieren. Auch eine gute Informatiklösung mit einfacher Anmeldemöglichkeit wäre für neue Projekte Gold wert.

Bessere Tarife als Anreiz

Die meisten privaten oder genossenschaftlichen Produzenten nutzen heute einen Teil der Energie selber und speisen den Überschuss ins lokale Stromnetz ein. Im Energiegesetz ist festgelegt, dass jeder Stromversorger den Strom annehmen und vergüten muss, die Höhe der Vergütung können die Unternehmen aber selber festlegen. Dementsprechend unterschiedlich sehen die Tarife aus: Während der Stromversorger Schams Avers im Kanton Graubünden gerade mal 3,77 Rappen pro Kilowattstunde vergütet, bietet die direkt angrenzende EV Albula 15,5 Rappen. Die WWZ-Netze Zug liegen mit über 20 Rappen pro KWh bei den Grosszügigen, Zürich, Bern und Basel liegen mit 12 bis 14 Rappen pro KWh im oberen Mittelfeld. Die BKW, einer der grössten Stromversorger der Schweiz, vergüten gemäss dem Marktwert zum Zeitpunkt der Einspeisung. Das Einspeisen ins Netz ist also oft ein Verlustgeschäft für die Produzenten. Für diese bieten lokale Zusammenschlüsse neben dem ideellen auch einen finanziellen Anreiz. Für die Netzbetreiber klingt die Sache zuerst nach einem Verlustgeschäft – schliesslich verkaufen sie weniger Strom. Dennoch sind die lokalen Strukturen interessant, weil im besten Fall der Ausbau der Netzinfrastruktur für die steigende Menge an Solarstrom entfällt – was lokal genutzt wird, muss nicht durch die Zuleitung herangeführt werden.

Die Krux mit den Sonnenstunden

Wer eine PV-Anlage hat, weiss: Der Strom kommt, wenn die Sonne scheint und nicht, wenn man ihn braucht. Das ändern auch Markttarife nicht. Dieses Problem lässt sich nur auf zwei Arten lösen: Indem Strom gespeichert oder indem er zum gelieferten Zeitpunkt verwendet wird. Speichern ist möglich, aber nach wie vor teuer und mit Verlust verbunden. Die lokalen Elektrizitätsgemeinschaften und die Zusammenschlüsse zum Eigenverbrauch (ZEV) gehen den anderen Weg: Ein Produzent schliesst sich mit Nachbarn zusammen und nutzt gemeinsam die Energie, die am Tag produziert wird. Während Nachbar A den Akku des Rasenmähers lädt, lässt Nachbar B die Abwaschmaschine laufen und der Produzent selbst arbeitet vielleicht im hauseigenen Tonstudio an den neusten Sounds. So kann Energie einer einzelnen Solaranlage eher direkt und lokal genutzt werden, als wenn nur ein Haushalt Strom bezieht. Genau das ist das Ziel der Zusammenschlüsse: Erneuerbare Energie möglichst lokal nutzen.

ZEV und Lokale Elektriziätsgemeinschaften im Vergleich

Bisher gab es dafür nur die Möglichkeit eines ZEV. Mit dem neuen Mantelerlass, dem die Schweiz unter dem Namen «Stromgesetz» im Juni zugestimmt hat, kommen ab 2025 oder 2026 zwei weitere Möglichkeiten dazu: Die virtuelle ZEV und die Lokale Elektrizitätsgemeinschaft LEG. Die Details sind noch in Arbeit. Auf Nachfrage gibt das BFE an, es sei möglich, dass die Verordnungen zum Stromversorgungsgesetz in zwei Paketen in Kraft gesetzt wird. «Tarifrelevante Elemente wie lokale Elektrizitätsgemeinschaften LEG könnten deshalb möglicherweise erst 2026 kommen», sagt die Pressestelle des Bundesamts für Energie. Bis dahin bleiben die genauen Bestimmungen offen. Die Grundzüge der neuen Strukturen sind aber klar:
In einer ZEV nutzen die Teilnehmenden die Anschlussleitungen für einen virtuellen Zusammenschluss und treten gegenüber dem Verteilnetzbetreiber als ein einziger Kunde auf. In einer Lokalen Elektrizitätsgemeinschaft bleiben die Teilnehmenden Einzelkunden des Verteilnetzbetreibers, beziehen und verkaufen aber lokalen Strom über das öffentliche Netz in ihrem Quartier oder ihrer Gemeinde.
Lucia Grüter, Vorstandsmitglied des VESE (Verband unabhängiger Energieerzeuger), differenziert die Chancen der neuen Möglichkeiten: «Bei der LEG sind die Kosten noch unklar. Zur Diskussion steht für LEG ein Abschlag von 30 Prozent auf die Netzkosten. Ob dieser Abschlag ausreichend ist, um das Interesse bei potenziellen Solarstromabnehmern in-nerhalb einer LEG zu wecken, wird sich zeigen. Finanziell interessanter ist der Eigenverbrauch in einem virtuellen Zusammenschluss zum Eigenverbrauch, kurz virtueller ZEV.» Dieser ist für alle Teilnehmer möglich, die an derselben Verteilkabine angeschlossen sind – und zwar ohne Netzkosten zu bezahlen.

Intelligente Zähler vereinfachen den Betrieb

Wichtige Elemente bei der Umsetzung von lokalen Energie- Sharing-Projekten sind die sogenannten intelligenten Zähler. Sie ersetzen mehr und mehr die gewöhnlichen Stromzähler und dienen als Kernelement der lokalen Strombörse: Der Netzbetreiber installiert die Smart Meter beim Produzenten und beim Konsumenten. Die Geräte messen die Einspeisung der Photovoltaik-Anlage ins Netz sowie den zeitgleichen Verbrauch beim Konsumenten und melden die Daten automatisch weiter. Somit kann die tatsächlich verbrauchte Strommenge von der Solaranlage abgerechnet werden. Alles was der Verbraucher zusätzlich an Strom benötigt, bezieht er wie gewohnt vom Netzbetreiber und erhält von diesem eine separate Rechnung.
Manche Solarstromproduzenten erwarten die neuen Möglichkeiten ungeduldig, andere wollen zuerst beobachten, wie es läuft. Auf Netzbetreiberseite sieht es ähnlich aus: «Wir sehen, dass sich gewisse Netzbetreiber bereits dafür vorbereiten, zum Teil selber LEGs anbieten wollen und bereits Kunden dafür suchen», sagt Lucia Grüter. Andere sind noch nicht sichtbar aktiv. In die Pflicht genommen werden ab Januar 2026 aber alle Verteilnetzbetreiber schweizweit. Wer Solarstrom mit Nachbarn teilen will, wird die Möglichkeit erhalten. Die Energiewende rollt weiter.

Vier Fragen zu lokalen Elektrizitätsgemeinschaften

an Lucia Grüter, Vorstandsmitglied des Verbands unabhängiger Energieerzeuger

Ich habe keine eigene Anlage, aber möchte lokalen Solarstrom beziehen. Wie muss ich vorgehen?

Konsumenten, die einen LEG-Betreiber suchen, melden sich am besten bei Solarstromproduzenten im Quartier oder in der Gemeinde. Ich denke, die meisten Produzenten werden interessiert sein, Kunden für ihren Solarstrom zu finden – und bieten möglicherweise günstigere Tarife als der Netzbetreiber.

Ich habe oder plane eine Solaranlage und möchte einen LEG oder einen ZEV gründen. Wo finde ich Unterstützung?

Unabhängige Stromproduzenten können sich gerne beim VESE melden für Unterstützung bei virtuellen ZEV und LEG.

Ich bin Genossenschafter*in oder Mieter*in. Was bieten mir die lokalen Energiezusammenschlüsse?

Als Mieter*in können Sie Strom von einer LEG oder einem ZEV beziehen. Genossenschaften oder Stockwerkeigentümerschaften können natürlich auch Produzenten sein, wenn geeignete Dachflächen vorhanden sind.

Ich habe eine Solaranlage und speise meinen Überschuss bisher ins Netz ein. Bringt mir eine LEG oder ein ZEV Vorteile?

Je nach Region sind die Einspeisevergütungen der lokalen Netzbetreiber höher oder tiefer und sind teilweise quartalsweisen Schwankungen ausgesetzt. In einem LEG oder einer ZEV kann ich meinen Strom möglicherweise lokal zu einem besseren und stabilen Tarif verkaufen und meine Anlage rascher amortisieren.

L'autrice

Corinne Roth© zvg/mad

Corinne Roth
Journaliste
schlosswort.ch

Traduction
Bénédicte Savary

Aus «casanostra» 177

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