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Umbau im Maschinenraum der Energiewende

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  Do., 20.11.2025

Damit die Energiewende gelingt, muss sich auch das Schweizer Stromnetz wandeln. Braucht es grosse Aus- und Neubauten? Oder genügt ein langsames, koordiniertes Vorgehen? Die Meinungen sind geteilt – und die definitive Lösung ist noch nicht in Sicht.

Grosse Teile des heutigen Schweizer Stromnetzes wurden aufgrund zweier Annahmen gebaut. Erstens sollten relativ wenige grosse Kraftwerke im Dauerbetrieb den grössten Teil des Stroms produzieren. Und der Strom sollte nur in einer Richtung fliessen: Von den Produzenten zu den Konsumenten. Beide Annahmen sind schon länger überholt. Denn die Energiestrategie 2050 setzt auf zahlreiche dezentrale Kraftwerke mit erneuerbaren Energieträgern. Wer Sonne oder Wind nutzt, liefert selten konstante Erträge. Wolken oder Flauten führen zu einem plötzlichen Abfallen der Produktion, praller Sonnenschein oder Böen hingegen zu Spitzen. Zudem können die früheren Konsumenten auch jederzeit zu Produzenten werden, etwa indem sie Solarstrom ins Netz einspeisen.

Grosser Umbau

Beide Veränderungen haben grosse Auswirkungen auf das Stromnetz und die Versorgungssicherheit. Denn damit das Netz nicht zusammenbricht, müssen Stromproduktion und Stromverbrauch jederzeit im Gleichgewicht sein. Ansonsten kann es zu Blackouts kommen. Kompliziert wird die Balance zwischen Produktion und Verbrauch, weil sie längst nicht mehr auf der Stufe des Höchstspannungsnetzes, sondern auch in den Quartieren gefragt ist. Hier befinden sich die sogenannten Verteilnetze. Sie bringen den Strom in jedes Gebäude und sind damit gewissermassen die letzte Meile der Schweizer Stromversorgung. Deshalb sind diese Netze doppelt betroffen: Sie müssen verstärkt werden, wenn viele grosse Stromverbraucher wie Wärmepumpen oder Ladestationen installiert werden. Doch auch wenn der Strom von den Endkunden zurück zum Betreiber fliesst, etwa durch Einspeisung von PV-Strom, müssen die Verteilnetze damit umgehen können. Die gut tausend Schweizer Elektrizitätsversorgungsunternehmen (EVU) sowie die ungefähr 650 Verteilnetzbetreiber (VNB) stehen damit vor schwierigen Aufgaben. Es geht um die Frage, welche Verstärkungen und Ausbauten bei den lokalen Stromnetzen notwendig sind, welche Art von Kraftwerken weiterhin gefördert oder allenfalls eingeschränkt werden soll. Und nicht zuletzt natürlich darum, wer die Verstärkungen, Ausbauten oder Sanierungen im Netz bezahlen soll.

Bisher findet diese Diskussion in der Öffentlichkeit nur wenig Beachtung. Debattiert – und noch lieber gestritten – wird vor allem über Windkraftanlagen, den «Solarexpress» oder die Höhe von Fördergeldern. Doch die Frage der Netze sollte lieber heute als morgen angepackt werden, meint Walter Sachs, Präsident des Verbandes unabhängiger Energieerzeuger (VESE). «Ohne koordiniertes und strukturiertes Vorgehen werden wir einen grossen Flickenteppich mit entsprechenden volkswirtschaftlichen Kosten erhalten.» Wichtig sei es, die Stromnetze mit Blick auf den Verbrauch, insbesondere bezüglich Ladestationen und Wärmepumpen, zu planen. «Bei solchen lastgetriebenen Netzen sind gewisse Einschränkungen sinnvoll. Es gibt dann nicht mehr ein unbedingtes Recht, eine Schnellladestation jederzeit mit voller Leistung zu betreiben oder unbeschränkt Solarstrom einzuspeisen », sagt Walter Sachs. Einzelne EVU gewähren ihren Kundinnen und Kunden schon heute einen Rabatt, wenn die Spitzenleistung der Einspeisung begrenzt wird (siehe Box «Neue Anreize»). Mit mehr Koordination könne man die Kosten für den gesamten Ausbau massiv senken: «Es kann nicht sein, dass wir drei Mal eine Leitung verstärken, weil im Lauf einiger Jahre drei sukzessive PV-Anlagen gebaut werden. Viel besser baut man das Netz ein einziges Mal aus, aber mit genügend Kapazitäten.»

Viele Herausforderungen

Solche Ausbauten sind die Aufgabe der Verteilnetzbetreiber (VNB). Doch die Umsetzung falle nicht leicht, meint Martin Pflugshaupt. Er ist Geschäftsführer der Energie Gossau AG und Vorstandsmitglied im Dachverband Schweizer Verteilnetzbetreiber (DSV). «Dafür braucht es erstens grosse Investitionen, zweitens genügend Fachkräfte und drittens die Akzeptanz durch die Bevölkerung», sagt Martin Pflugshaupt. Das Eigenkapital der Netzbetreiber sei beschränkt, die Aufnahme von Fremdkapital schwierig. Mit Sorge blicke man auf die bevorstehende Pensionierungswelle bei sehr erfahrenen Mitarbeiter*innen – während gleichzeitig der Nachwuchs fehlt. Und nicht zuletzt stehe einem raschen Netzausbau die Skepsis der Bevölkerung entgegen: «Für die Netzinfrastruktur benötigen wir Platz, auch auf privaten Grundstücken. Zudem braucht es Anpassungen im Raumplanungsgesetz (RPG), damit die notwendige Infrastruktur ausserhalb der Bauzone unproblematisch erneuert und neu gebaut werden kann.»

Auch die Finanzierung gibt dem DSV zu denken. «Auf dem Land werden häufig grosse PV-Anlagen auf abgelegenen Höfen gebaut. Deshalb muss das Netz verstärkt werden. Jedoch bezahlt Swissgrid [der oberste Netzbetreiber der Schweiz, Anm. der Red.] nur eine sehr tiefe Pauschale. Die Differenz bleibt am Verteilnetzbetreiber hängen. Mit dem aktuellen Stromgesetz hat man deshalb ein grosses Stadt- Land-Problem geschaffen», sagt Martin Pflugshaupt. Damit der Netzumbau klappt, fordert der DSV weitere Änderungen: Die Abnahmepflicht für Solarstrom soll nicht mehr unbedingt gelten, damit negative Strompreise bei Überproduktion und damit Verluste für den Verteilnetzbetreiber vermieden werden können. Zudem wünscht sich Martin Pflugshaupt, dass grosse Stromverbraucher wie Boiler oder Wärmepumpen nicht mehr von den Endkunden, sondern ausschliesslich vom Verteilnetzbetreiber gesteuert werden können.

Sparen dank Vernetzung

Die aktuelle Situation ist daher schwierig. Gibt es eine Möglichkeit, den Netzausbau zu minimieren? Ja, finden zwei junge Forscher. Federica Bellizio und Hanmin Cai haben das Empa-Spinoff kuafu gegründet. Sie entwickeln eine Softwareplattform, die den Energieverbrauch und die Nutzungsmuster von Gebäuden analysiert. So können der Betrieb und der Energiebezug mit den Bedürfnissen der Netzbetreiber abgestimmt und optimiert werden. Dazu analysiert die Software zahlreiche Datenquellen, etwa Wetterprognosen, die erwartete PV-Einspeisung und -nachfrage sowie aktuelle Strompreise in Echtzeit. «So können wir vorhersagen, welche Leistungen ein Gebäude dem Netzbetreiber bieten kann und ihn entsprechend informieren», sagt Federica Bellizio. Wird mehr Strom im Netz benötigt? Dann kann der lokale Bedarf auf die PV-Einspeisung verlagert werden. Oder ist im Netz zu viel Strom verfügbar, und es sind Speichermöglichkeiten gefragt? In diesem Fall kann die Wärmepumpe gestartet oder das Elektrofahrzeug aufgeladen werden.

Die Technologie wurde bereits erfolgreich in der bekannten Forschungsplattform NEST erprobt. Gemäss Federica Bellizio eignet sich kuafu für alle Gebäudetypen und -konfigurationen: «Ob Einfamilienhaus mit PV und Wärmepumpe oder Gewerbegebäude mit Ladestationen – die Software passt sich immer an die Situation vor Ort an.» Derzeit laufen verschiedene Pilotversuche, die Markteinführung ist für 2026 geplant. «Erste Ergebnisse zeigen, dass kuafu die CO₂- Emissionen pro Gebäude um bis zu zehn Prozent senken kann», sagt Hanmin Cai. Damit könnte die Plattform nicht nur bei der Optimierung des Stromnetzes helfen, sondern auch einen Beitrag zum Klimaschutz leisten.

Ausblick

Was braucht es, damit der anstehende Netzausbau gelingt, und wer soll ihn bezahlen? Die befragten Expertinnen und Experten haben verschiedene Meinungen. Walter Sachs vom VESE sagt: «Wir brauchen Sicherheit bezüglich Planung, Recht und Investition. Die gesetzlichen und finanziellen Grundlagen müssen über mehrere Jahre hinweg stabil bleiben. Auch die Amortisation neuer Anlagen sollte klar sein. Ausserdem muss das Ganze für die Investitionswilligen deutlich einfacher werden. Die aktuelle Rechts- und Finanzlage ist zu kompliziert für Private.» Martin Pflugshaupt vom DSV setzt andere Prioritäten: «Die Steuerung von Grossverbrauchern muss durch die lokalen Verteilnetzbetreiber erfolgen. Wir benötigen daneben eine zentrale Abnahmestelle für den PV-Strom, um die Netzbetreiber zu entlasten. Ebenso fordern wir, dass der Netzausbau gesamtschweizerisch solidarisch getragen wird und ländliche Regionen nicht überproportional belastet werden.»

Wie die aktuellen Probleme gelöst werden, ist eine politische Frage. Doch zurzeit verstellt die Diskussion über das Stromabkommen mit der EU den Blick auf die Netzproblematik. Sicher ist nur eines: Der Ausbau, Umbau oder Weiterbau der Stromnetze wird in den nächsten Jahrzehnten ein Dauerthema bleiben. Spannend ist die Frage, ob tatsächlich alle Probleme auf übergeordneter Ebene gelöst werden können und müssen oder ob Eigentümerschaften mit Anwendungen wie kuafu oder speziellen Benefits (siehe Box «Neue Anreize») ebenfalls einen Beitrag leisten können.

Neue Anreize

Die Förderung der Photovoltaik lief zunächst eher zäh an. Verglichen mit Nachbarländern wie Deutschland gewannen private PV-Anlagen in der Schweiz nur langsam an Fahrt. Mit der Kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV) bestand zwischen 2009 und 2017 ein zunehmend populäreres Förderinstrument. Die grosse Zahl angemeldeter Anlagen führte zu immer längeren Wartelisten, und die Fördertöpfe wurden immer schneller leer. Seit Anfang 2018 wird für neue PV-Anlagen keine KEV mehr ausgezahlt. Stattdessen kann eine Einmalvergütung (EIV) bezogen werden. Seither wurden von Kommunen oder EVU vereinzelt neue Förderinstrumente lanciert. Bei diesen steht nicht mehr die Produktion, sondern die «Netzdienlichkeit» im Fokus. Es geht also nicht mehr nur darum, die PVProduktion weiter zu steigern, sondern auch das Stromnetz optimal zu nutzen. So fördert zum Beispiel der Kanton Zürich die Anschaffung von bidirektionalen Ladestationen. Mit diesen kann die Fahrzeugbatterie eines Elektrofahrzeugs als temporärer Stromspeicher genutzt werden (siehe casanostra Nr. 175). Und die Genossenschaft Elektra, das EVU der Region Jegenstorf-Fraubrunnen BE, hat das Produkt «Top-40» lanciert. Wer die Einspeisung der obersten 40 Prozent Leistung seiner PV-Anlage durch Eigenverbrauch oder Abriegelung verhindert, erhält eine zusätzliche Vergütung. Denn wenn das Netz weniger Spitzen bewältigen muss, kann es langsamer und kostengünstiger erweitert werden.

 

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    : Getty Images/iStockphoto

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