Den Ortsbildschutz renovieren: Wie das ISOS fit für Klimaziele und Verdichtung wird
Aktuell, Bauen & Erneuern, Casafair Schweiz, Fokus, PositionenTausende Bauprojekte stehen wegen eines Bundesinventars still. Ein runder Tisch soll den Druck lindern und den Ortsbildschutz zu seinen Kernaufgaben zurückführen.
Die Schweiz soll wachsen. Aber bitte dichter, klimafreundlicher und zugleich baukulturell hochwertig. Es braucht dringend PV-Anlagen auf Neubauten und Stadtflächen für dringend benötigten Wohnraum. Warum aber verzögern sich viele Projekte durch die Direktanwendung des Bundesinventars der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS)? Sobald eine Bundesaufgabe im Spiel ist, greift das ISOS. Sei es eine Schutzraum-, eine Verkehrsanbindung- oder eine Gewässerbewilligung, auch wenn diese das geschützte Ortsbild gar nicht beeinträchtigt. Das führt zu langen Verfahren, erhöhten Kosten und Rechtsunsicherheit und stärkt die Schutzwirkung des ISOS nicht. Gerade in den Städten und Agglomerationen, wo Verdichtung nötig ist, prallen die Klimaziele und die Innenentwicklung auf Formulare und Wartezeiten. Das kostet Zeit und Geld.
Vor diesem Hintergrund haben das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) und das UVEK einen «Runden Tisch ISOS» einberufen, an dem Casafair gemeinsam mit Verwaltung, Kantonen, Städten, Gemeinden, Fachverbänden wie EspaceSuisse, der SIA und auch Umwelt- und Denkmalpflegeorganisationen ein praxistaugliches Massnahmenpaket erarbeitet hat. Die gemeinsame Linie ist klar: Das ISOS soll dort schützen, wo es tatsächlich den baukulturellen Wert einer Ortschaft sichert, aber nicht zur allgemeinen Blockade führen, wo kein konkreter Ortsbildbezug besteht. Das ISOS soll bleiben, weil sonst Rechtsunsicherheit entstünde und die Substanz des Ortsbildschutzes in einer politisch aufgeladenen Debatte unter Druck geraten könnte. Casafair setzt sich stattdessen dafür ein, dass mit einer zielgerichteten Anpassung auf dem Verordnungsweg rasch Klarheit geschaffen wird.
Das Paket, das der Bundesrat in einer Medienkonferenz am 26. September vorgestellt hat, umfasst sechs konkrete Massnahmen.
Erstens soll das ISOS nur dann zur Anwendung kommen, wenn eine Bundesaufgabe sichtbar in das Ortsbild eingreift. Das bedeutet, dass Verfahren nur dann ausgelöst werden, wenn etwa Fassaden, Dachlandschaften oder prägende Strukturen tangiert sind, nicht aber bei technischen Verfahren ohne Bezug zum Ortsbild. Das schafft Rechtssicherheit und entlastet Bauwillige, Gemeinden und Planungsbüros.
Zweitens sollen Photovoltaikanlagen auf Neubauten in ISOS-A-Gebieten künftig nicht mehr automatisch eine Bundesaufgabe darstellen. Damit wird ein zentraler Zielkonflikt zwischen Energiewende und Ortsbildschutz aufgelöst: Neubauten können klimafreundlich ausgestattet werden, während der Ortsbildschutz weiterhin bei Bestandesbauten greift.
Drittens wird Kantonen und Gemeinden explizit der Spielraum eingeräumt, ISOS-Erhaltungsziele bei ihren eigenen Aufgaben zugunsten überwiegender öffentlicher Interessen wie sozialverträglicher Verdichtung oder ökologischer Sanierungen zurückzustellen. Die Entscheidungsgrundlagen werden dadurch transparenter und nachvollziehbarer, ohne dass die Kontrollmöglichkeiten ausgehebelt werden.
Viertens werden die bisher schwammigen Begriffe wie «Strukturerhalt» und «Charaktererhalt» klar definiert, sodass Bauherrschaften und Behörden frühzeitig wissen, welche Qualitäten eines Ortsbildes tatsächlich geschützt werden und welche Veränderungen zulässig sind. Dies ermöglicht eine qualitativ hochwertige Planung anstelle von rechtlich motivierten Abwehrstrategien.
Fünftens sollen Leitfäden, Checklisten und Schulungen als umfassendes Vollzugspaket aufbereitet werden, damit Gemeinden, Planungsbüros und Eigentümer*innen das ISOS von Beginn an korrekt in ihre Planungen integrieren können.
Sechstens wird eine transparente und öffentlich zugängliche Liste erstellt, welche Bundesaufgaben überhaupt noch eine ISOS-Direktanwendung auslösen, damit Planungssicherheit und Vertrauen in den Prozess geschaffen werden.
Verordnung kann bereits 2026 angepasst sein
Casafair unterstützt diese Stossrichtung ausdrücklich, weil sie den Schutz von wertvollen Ortsbildern mit den realen Anforderungen der Klimawende und der Innenentwicklung verbindet, ohne in einen ideologischen Kahlschlag zu verfallen. Wer den Ortsbildschutz als Teil einer nachhaltigen Siedlungsentwicklung versteht, weiss: Wir müssen Bewahren und Entwickeln miteinander versöhnen. Dies gelingt nicht mit pauschalen Verboten oder langjährigen Gesetzgebungsprozessen, sondern mit pragmatischen Lösungen, die rasch Wirkung entfalten und von allen Akteurinnen und Akteuren getragen werden. Eine Verordnungsänderung kann bereits 2026 in Kraft treten und die Verfahren schweizweit entlasten, während eine Gesetzesrevision Jahre blockieren würde und das Risiko birgt, dass das ISOS in einer aufgeheizten politischen Debatte stark abgeschwächt oder gar in seiner Substanz zerstört wird.
Wir brauchen eine Rechtsgrundlage, die das ISOS dort stärkt, wo es einen Unterschied macht – im Schutz von Ortsbildern mit nationaler Bedeutung, die das Gesicht unseres Landes prägen und Identität stiften. Gleichzeitig darf der Ortsbildschutz kein Vorwand sein, um Solarprojekte oder sozialverträgliche Verdichtungen zu verhindern, wo der Schutzzweck gar nicht tangiert ist. Diese differenzierte Anwendung ermöglicht es, sowohl unsere Verantwortung gegenüber kommenden Generationen in Bezug auf Klima und Ressourcenschutz wahrzunehmen als auch die baukulturellen Werte zu erhalten, die unseren Lebensraum lebendig und vielfältig machen.
Casafair ruft nun dazu auf, das Massnahmenpaket des Runden Tisches rasch umzusetzen. Mit einer präzisen Verordnungsanpassung wird der ISOS-Schutz von einem potenziellen Verfahrenshindernis zu einem gezielten Qualitätssiegel, das Planbarkeit, Transparenz und Wirksamkeit garantiert. So kann die Schweiz bauen und zugleich bewahren. Das ist die Richtung, die wir als nachhaltige Wohneigentümer* innen und als Gesellschaft gemeinsam einschlagen sollten.



