«Wir müssen wieder lernen, in gesunden Gemeinschaften zu leben.» – Casafair

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Urbane Dörfer

«Wir müs­sen wie­der ler­nen, in gesun­den Gemein­schaf­ten zu leben.»

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Do, 10.02.2022

Mat­thias Tobler ist mehr­fa­cher Fir­men­grün­der, Co-Living-Pio­nier und Mit­grün­der der Genos­sen­schaft Urbane Dör­fer. Ein Inter­view über den Weg vom Bau­ern­sohn zum Visio­när, vom Wunsch nach gemein­schaft­li­chem Leben bis zum ers­ten kon­kre­ten Pro­jekt für ein Urba­nes Dorf.

Casanostra: Das Kon­zept «Urba­nes Dorf» rüt­telt gerade an den Grund­fes­ten der Arealentwick­ lung.Wann ist die Idee entstanden?

Mat­thias Tobler Ja, wir gehen neue Wege. Ich bin über­zeugt, dass wir weg­kom­men müs­sen von der gewinn­ori­en­tier­ten Are­al­ent­wick­lung, die auf einer Bra­che mög­lichst viele lukra­tive Woh­nun­gen baut. Wir müs­sen mit und für die künf­ti­gen Nutzer*innen von Sied­lun­gen pla­nen. Damit stel­len wir gän­gige Pro­zesse auf den Kopf. Bei mir ist das Grund­kon­zept des gemein­schaft­li­chen, selbst­be­stimm­ten Lebens tief ver­an­kert. Ich bin auf einem Bau­ern­hof auf­ge­wach­sen. Leben, Arbei­ten, Essen – alles war ver­knüpft und die Dorf­ge­mein­schaft war ein dicht geweb­tes Bezie­hungs­netz. Diese Erfah­rung hat mich geprägt. 2017 haben etli­che Freunde Ein­fa­mi­li­en­häu­ser gekauft. Sie haben mich gefragt, wann wir in ein Haus zie­hen und ich habe spon­tan gesagt: «Ich will doch kein Haus, ich will ein Dorf!» Noch im glei­chen Jahr haben wir eine Spur­gruppe gegrün­det und 2018 war die Idee
der Urba­nen Dör­fer bereits spruchreif.

Dar­aus ist eine Genos­sen­schaft ent­stan­den, die bereits zwei Bau­pro­jekte vor­an­treibt. Wel­che Vision ver­folgt ihr?

Der heute übli­che Lebens- und Wohn­stil bie­tet keine Lösun­gen für unsere sozia­len und öko­lo­gi­schen Pro­bleme. Der weit­aus stärkste Lösungs­an­satz ist, dass wir wie­der ler­nen, in gesun­den Gemein­schaf­ten und mit Respekt gegen­über den beschränk­ten Res­sour­cen und den zukünf­ti­gen Gene­ra­tio­nen zu leben. Urbane Dör­fer geht der Frage nach, wie ein gutes und ver­ant­wor­tungs­vol­les Leben aus- sieht. Dar­aus ent­wi­ckeln wir leben­dige Wohn‑, Arbeits- Lern- und Pro­duk- tions­orte für jeweils 150 bis 250 Personen.

Wel­che Pro­bleme sind das, die aus dei­ner Sicht drin­gend gelöst wer­den müssen?

Wir woh­nen meist fremd­be­stimmt in Miet­woh­nun­gen oder in auf Abgren­zung ange­leg­ten Häu­sern. Die Gebäude sind res­sour­cen­in­ten­siv gebaut und ver­schlin­gen viel Ener­gie. Sie ent­spre­chen in ers­ter Linie finan­zi­el­len und ästhe­ti­schen Ansprü­chen, nicht den Inter­es­sen der Nutzer*innen.

Ihr bil­det Nach­bar­schaf­ten, bevor die Gebäude ste­hen. Wie funk­tio­niert das?

Wir sind eine Anlauf­stelle und eine Com­mu­nity für Men­schen, die gemein­schaft­li­cher und suf­fi­zi­en­ter leben wol­len. Aus die­ser Gemein­schaft her­aus lan­cie­ren wir die Pro­jekte. Für ein Urba­nes Dorf braucht es immer eine Kern­gruppe von soge­nann­ten Dorfpionier*innen, die ehren­amt­lich mit­ar­bei­tet und den Kern der zukünf­ti­gen Nach­bar­schaft bildet.

In Zol­li­kofen bei Bern arbei­tet Urbane Dör­fer an der Umnut­zung eines bestehen­des Gebäu­des. Wo lie­gen die gröss­ten Herausforderungen?

Ich sehe vor allem die Vor­teile! Öko­lo­gisch ist die Umnut­zung sinn­voll und es ver­ein­facht das Com­mu­ni­ty­buil­ding sehr. Man kann sich vor­stel­len, wie es aus­se­hen wird und wir brau­chen die Räume bereits im Sinn eines Real­la­bors, um die künf­tige Nut­zung zu tes­ten. Natür­lich muss man gewisse Kom­pro­misse ein­ge­hen, aber es ist auch span­nend, etwas zu transformieren.

Das zweite Pro­jekt in Güm­li­gen star­tet auf einer bra­chen Flä­che. Was ist dort geplant?

In Güm­li­gen ent­steht ein Urba­nes Dorf mit rund 70 Woh­nun­gen. Der Stand­ort ist top-erschlos­sen und es ist span­nend, dass wir dort gemein­sam mit der Bau­un­ter­neh­men von Grund auf neu den­ken und pla­nen kön­nen. Man kann muti­ger und gleich­zei­tig risi­ko­ar­mer ent­wi­ckeln, wenn die spä­te­ren Nutzer*innen bereits am Tisch sit­zen. Das ist auch für unsere Part­ner attraktiv.

Inwie­fern ver­än­dert das den Bauprozess?

Wir stel­len fest, dass in der Bau­bran­che viele Kom­pe­ten­zen zur Mate­rie,
SIA- Bau­pha­sen und Nor­men vor­han­den sind, aber wenig zu den Nut­zern, zu par­ti­zi­pa­ti­ven Pro­zes­sen. Expe­ri­men­telle Pha­sen und eine evo­lu­tio­näre Ent­wick lung sind Neu­land. Da ver­su­chen wir, Brü­cken zu bauen.

Das ist auf­wen­dig. Wie finan­ziert sich Urbane Dörfer?

Zum einen wird Urbane Dör­fer von den Genossenschafter*innen sowie dem ehren­amt­li­chen Enga­ge­ment von über 20 Dorfpionier*innen getra­gen. Zum an deren sind wir Unternehmer*innen. Die Beglei­tung von eige­nen oder exter­nen nut­zer­ori­en­tier­ten Are­al­ent­wick­lun­gen rech­nen wir über die jewei­li­gen Pro­jekte ab. Unsere Exper­tise ist zuneh­mend gefragt, weil viele Unter­neh­men mer­ken, dass es neben den Archi­tek­ten für den Bau auch eine Beglei­tung für die sozia­len Struk­tu­ren und Pro­zesse braucht.

Du lebst mit dei­ner Fami­lie schon seit 2016 in einem experimen­tellen Set­ting. Was nimmst du mit ins Urbane Dorf?

Wir sind Mit­in­iti­an­ten des Effin­ger Kaf­fee­bar und Cowor­king Space in Bern. Der Effin­ger war von Anfang an mehr als ‹nur› ein Arbeits­ort für Unternehmer*innen und Krea­tive. Meine Frau und ich leben mit unse­ren Kin­dern im Co-Living-Pro­jekt über dem Cowor­king Space. Bis zur Pan­de­mie haben wir mehr­mals wöchent­lich die Tür unse­rer Woh­nung für die Com­mu­nity geöff­net, gemein­sam geges­sen oder gefei­ert. Das machte Lust auf mehr. Der Effin­ger ist ein Urba­nes Dorf im Mini­for­mat, sozu­sa­gen der Prototyp.

Die Wohn­bau­po­li­tik in der Schweiz harzt, der Hüs­li­krebs frisst sich in die Land­schaft, gleich­zei­tig stei­gen die Mie­ten in den Städ­ten. Wenn du die Mög­lichkeit hät­test: Was wür­dest du ändern?

Ich denke bot­tom-up. Hätte ich die Mög­lich­keit, würde ich Leu­ten, die etwas gestal­ten wol­len, den nöti­gen Frei­raum und die Unter­stüt­zung geben, damit sie ihre Ideen umset­zen kön­nen. Es gibt immer wie­der tolle Initia­ti­ven, Leute mit guten Ideen. Urbane Dör­fer soll übri­gens auch kopiert wer­den! Wir möch­ten, dass sich die Idee ver­brei­tet und mög­lichst viele Men­schen von unse­ren Erfah­run­gen profitieren.

Die Autorin

Corinne Roth

Corinne Roth Vock
Jour­na­lis­tin
schloss­wort

Aus «casanostra» 164

Mat­thias Tobler ist Coach, Inno­va­tor und Visio­när. Er ist Mit­grün­der der Urba­nen Dör­fer und des Urban Future Lab, Mit­in­i­ta­tor meh­re­rer Cowor­king Spaces und beglei­tet Orga­ni­sa­tio­nen und Areale in ihrer Trans­for­ma­tion. Mat­thias lebt mit sei­ner Fami­lie in Bern.

Urbane Dör­fer

Die Genos­sen­schaft Urbane Dör­fer ist eine Bot­tom-Up- Bewe­gung für die Ent­wick­lung zukunfts­wei­sen­der Lebens­orte durch ihre Nutzer*innen.
Ziel ist die sys­te­ma­ti­sche Ent­wick­lung öko­lo­gi­scher, gemein­schaft­li­cher und suf­fi­zi­en­ter Dorf­struk­tu­ren für jeweils 150 – 250 Personen.

www.urbanedoerfer.ch

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