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Wider die Rumpelkammern

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  Do, 07.11.2019

Ausmisten, Entrümpeln und Aufräumen – diese unangenehmen Alltagspflichten sind in letzter Zeit richtig trendy geworden. Auch casanostra-Autorin Mirella Wepf wurde vom Zeitgeist erfasst. Zu ihrer eigenen Überraschung hat sie innerhalb eines Jahres 3000 Gegenstände aus ihrer Wohnung spediert. Der Bericht ihres Selbstversuchs.

Eines Tages hallte eine Art Urschrei durch meine Wohnung: «Maaaaannn! Mir hend sones Puff! Ich drääie jetzt denn dure!!!!» Dieses Gejammer erklang natürlich nicht zum ersten Mal. Und mir ist klar, dass es vielen so geht: Auf den Tischen sammeln sich Unterlagen, die gelesen, beantwortet oder bezahlt werden müssten. Kaum ist die Waschmaschine geleert, ist der Wäschekorb wieder voll. Im Gang stolpert man über Schulranzen und Schuhe oder über die Tasche mit den leeren Flaschen, die zur Sammelstelle gebracht werden sollten. Also alles ganz normal. Und doch: Mir war einfach nicht mehr wohl. Deshalb beschloss ich, meinem fortwährenden Kampf mit der Materie etwas Neues entgegenzusetzen. Eines war mir klar: es musste etwas sein, das ich zeitlich und energietechnisch schaffen würde. Denn: Es mag Leute geben, die sich für eine Entrümpelungsaktion einen Tag oder zwei freischaufeln können. Ich nicht. Auch fehlt mir ganz und gar die Lust dazu.

Die Autorin

Mirella Wepf
Mirella Wepf
Journalistin

Aus «casanostra» 153

casanostra 153 - November 2019

Ein Ding pro Tag muss weg

Also beschloss ich, klein anzufangen und ab sofort jeden Tag etwas aus meinem Haushalt zu entfernen. Die Aussicht, dass ich so innerhalb eines Jahres 365 Gegenstände weniger haben würde, motivierte mich. Eine alte Zeitschrift hier, ein paar verstaubte Kosmetik-Gratismuster da, Kinderkleider an Kolleginnen weitergeben und und und …

Aus Angst, dass ich den Drive verlieren würde, wenn ich einen Tag ausliesse, räumte ich auch dann etwas weg, wenn ich müde und spät nach Hause kam. Die Krimskramsschublade in der Küche war dann jeweils meine Rettung. Irgendeine verbogene Büroklammer oder ein spröd gewordenes Gümmeli fand sich dort immer.

Aufschreiben hilft

Der Zufall wollte es, dass ich einer Nachbarin von meinem neuen «Hobby» erzählte. Am Abend schickte ich ihr ein scherzhaftes SMS: «Heute die Gewürze ausgemistet. 6 Gläschen mussten weg. Ablaufdaten bleiben geheim.» Ihre Antwort: «Hihi, bei Gewürzen schockt mich gar nichts!» Und so rutschten wir für eine Weile in einen amüsanten Dialog. Wir tauschten Entsorgungsideen aus und kicherten leicht verschämt über die «gruusigen» Sachen, die wir beim Rumstöbern entdeckt hatten.

Nach einer Weile schlief unser SMS-Chat ein, aber ich hatte dabei festgestellt, dass mir das Notieren der entsorgten Dinge Energie verschafft. Deshalb richtete ich mir auf der Notizen-App des Handys ein Entsorgungs-Tagebuch ein. Die Liste wuchs und wuchs. Und damit auch meine Energie. Nach kurzer Zeit entsorgte ich oft auch zehn oder zwanzig Dinge pro Tag. Meinem Mann wurde ganz bange. Vorsichtig fragte er: «Gäll, du hörsch denn scho wieder mol uuf?»

Der Blick verändert sich

Es war nie mein Plan, in eine ewige Putzwut zu verfallen. Aber wie ein Sportler, der nach ersten Anlaufschwierigkeiten immer mehr in Fahrt kommt, hatte ich plötzlich die Power, in Ecken zu schauen, die ich früher tunlichst ignoriert hatte. Eine vollgestopfte Schublade wurde nun nicht mehr möglichst schnell wieder verschlossen, sondern sie mutierte zum Projekt. Nach und nach arbeitete ich mich durch jedes Tablärli, Schublädli und Schränkli. Der Vorsatz «ein Ding pro Tag» half mir, konsequent dran zu bleiben, er trug aber auch dazu bei, dass ich mich nie überfordert fühlte, wenn ich neue Mist-Nester entdeckte – etwa uralte Ski, eine jahrzehntelang ungebrauchte Wollknäuelsammlung oder ungeöffnete Zügelkisten im Keller. Ich wusste: Das schaffe ich vielleicht nicht heute, aber bald.

Das Internet, dein Freund und Helfer

Im Internet stösst man auf eine immense Flut von Ratgeberseiten, Blogs, Buchtipps und Austauschforen. Das Gute daran: Ich fand einige vorgefertigte To-do-Listen für Entrümpelungsaktionen, die mich inspirierten. Aber die Erkenntnis, wie viele Menschen sich weltweit mit dem Thema Aufräumen und Entrümpeln beschäftigen, war auch ein Schock. Wo ums Himmels Willen sind wir da eigentlich hingeraten!?

Mit leiser Wehmut erinnerte ich mich an meine Grossmutter, die noch ganz andere Zeiten erlebt hatte und einen viel respektvolleren Umgang mit ihren Besitztümern pflegte. Aus einem alten Mantel ihres Mannes nähte sie neue für ihre Kinder; oder sie bewahrte das Geschenkpapier von Paketen auf, um dieses an Weihnachten wieder zu verwenden. Und wir? Wir ersaufen in der Ware. Glücklicher sind wir trotzdem nicht.

Marie Kondo

Natürlich blieb ich auch von Marie Kondo nicht verschont. Die japanische Aufräumexpertin ist weltberühmt. Ihre Methode radikal. Sie ermuntert ihre Kundinnen und Kunden, all ihre Dinge auf einen Haufen zu werfen. Dabei fängt sie mit den Kleidern an. Danach müssen die Aufräumwilligen jedes Stück in die Hand nehmen und sich fragen: «Macht mich das glücklich?» Für mich wäre eine solche Radikalkur nichts. Aber die Glücksfrage war hilfreich. Dank Marie Kondo habe ich viele alte Briefe, Tagebücher oder Geschenke weggeworfen, von denen ich bisher geglaubt hatte, ich müsse sie bis an mein Lebensende behalten.

Nützlich fand ich auch Kondos Methode, Schubladen mit Schachteln in kleinere Fächer zu unterteilen, um so einen besseren Überblick zu erhalten. Meine Unterhosen werde ich aber nie im Leben «röllele», wie Kondo eigentlich empfiehlt. Nein. Nein. Nie!

Aber dank dieser Schachtelmethode habe ich her ausgefunden, dass ich sechzehn Paar handgestrickte Socken besitze. Bisher hatte ich geglaubt, es seien vielleicht eines oder zwei und kaufte mir an jedem Bazar neue.

Aufräumen hilft Sparen

Das Aufräumen hat sich unterdessen nicht nur bei den Socken, sondern generell auf mein Einkaufsverhalten ausgewirkt. Erstens weiss ich heute besser, was ich besitze, und kaufe deshalb weniger Dinge mehrmals, bloss weil sich die alten Exemplare irgendwo im Schrank versteckt haben. Und zweitens ist mir die Lust am Shoppen vergangen. Dieses «Wunder» hat vermutlich meine Liste der entsorgten Dinge bewirkt. Nach einem Jahr stellte ich nämlich fest, dass ich unseren Haushalt um 3000 Dinge erleichtert hatte. Vermisst hat sie keiner. Der Schock, zu sehen, wie viel ungebrauchte Sachen sich bei uns über die Jahre angesammelt hatten, war heilsam.

Frust- und Belohnungskäufe? Das brauche ich nicht mehr. Im Gegenteil: Mir tun heute Menschen leid, die sich vollbepackt mit Einkaufstüten ins Tram kämpfen. Ich schaue sie an und frage mich: Wieso machen die das? 10 000 Gegenstände – so heisst es – besitze heute ein Durchschnittseuropäer. Irgendwann ist doch genug!

« Nur Dinge, an die man sich gerne erinnert, sind guter Besitz. Der Rest kann weg! »

Ökonomie und Ökologie

Etwas störte mich an Marie Kondos Methode extrem: In ihrer Netflix-Serie war die Ökologie beim Entsorgen kaum ein Thema. Im Fokus stand einzig und allein das gesteigerte Lebensglück ihrer Klienten. Für mich war und ist die Frage der Nachhaltigkeit jedoch zentral. Metall gehört in die Metallsammlung, Medikamente in den Sondermüll. Und was macht man mit den guten Sachen?

Etwas lernte ich schnell: Gebrauchtwaren lassen sich schlecht zu Geld machen. Der Aufwand fürs Posten auf Online-Plattformen ist riesig, die Erlöse, die man damit erzielen kann, sind meist gering. Ein Tipp aus dem Internet half mir, die finanziellen Abstriche zu verdauen: «Man muss Dinge nicht unbedingt behalten, bloss weil sie mal viel Geld gekostet haben. Das Geld ist eh schon weg. Jetzt ist loslassen und Platz schaffen angesagt.»

Schenken macht Freude

Ich suchte gezielt nach Menschen, die an schönen Deko-Sachen oder speziellen Büchern Freude haben könnten. Ein Tierheim erhielt ein paar Säcke voll Frottee- und Bettwäsche, da mein Gatte und ich beim Zusammenziehen unsere Siebensachen zu wenig reduziert hatten.

Unbenutzte Vasen, Spielsachen, Handtaschen – solche Dinge stellte ich einfach an den Strassenrand. Das meiste ging problemlos weg. Auf Facebook entdeckte ich zudem die Gruppe «Will öpper…». Hier kann man in Zürich – und mittlerweile auch an einigen anderen Orten – Sachen verschenken. Ein tolles Forum! Ich nutze es bis heute ab und zu. Es kommt dort immer wieder zu witzigen Begegnungen mit Beschenkten. Ich erhielt nette Gegengeschenke (zum Beispiel Tomatensetzlinge) und spannende Einblicke in das Leben von eingewanderten Tschechinnen, Lebensmitteltechnikern und Künstlern. Sogar der eine oder andere Flirt bot sich an, was verständlicherweise meinen Mann wieder etwas nervös machte …

Zu den Schattenseiten von «Will öpper…» gehört, dass zahlreiche Interessentinnen ihre Sachen nie abholen oder unglaublich komplizierte SMS-Dialoge starten, um die Übergabemodalitäten zu organisieren. Trotzdem: Der Erfinderin dieser Plattform möchte ich an dieser Stelle ein Kränzchen winden. Sie hat ein tolles, modernes Medium geschaffen, um Dinge sinnvoll zu verwerten und Menschen zu vernetzen, Und sie bewirtschaftet die Plattform tagtäglich. Danke, Carla Opetnik!

Casaclean!

Das grosse Aufräum-ABC.

A

Anschaffungen sollte man mit Köpfchen tätigen! Halten Sie bei jedem Einkauf kurz inne: «Brauche ich das wirklich? Macht dies mein Glück aus?»

B

Bücher sind ein wichtiges Kulturgut. Trotzdem müssen Sie nicht zwingend alle behalten. Tipp: Ungelesene verschenken, nur Lieblingsbücher behalten.

C

CDs sind auf Online-Verschenkplattformen sehr begehrt.

D

Döstädning ist eine schwedische Aufräum-Philosophie. Die Wortkreation besteht aus den schwedischen Wörtern für «sterben» und «Sauberkeit ». Der Clou ist dabei, seine Habseligkeiten so weit zu ordnen, dass man morgen sterben könnte.

E

Elektrogeräte werden von Fachgeschäften gratis entsorgt. Dies dank der vorgezogenen Entsorgungsgebühr, die im Gerätepreis inbegriffen ist.

F

Flohmarkt: Reich werden Sie mit Ihren alten Sachen kaum. Aber ein Tag lang «Verchoiferle» macht trotzdem Spass.

G

Geschenke: Schenken Sie Ihren Liebsten Zeit. Das ist ökologischer und macht mehr Freude als herziger Krimskrams.

H

Hausbar: Sehr oft stehen hier seit Jahren unbenutzte Schnapsflaschen. Fragen Sie Restaurantbesitzer Ihres Vertrauens, ob sie Verwendung dafür hätten.

I

Internet, Facebook und Co.: Hier findet man tolle Gruppen, um Dinge zu verschenken oder um sich Tipps und Motivation zu holen.

J

Jeden Tag ein Ding aus dem Haus schaffen – das bietet einen guten stressfreien Anfang zum Entrümpeln.

K

Kleiderschrank aufräumen. Dazu erhalten Sie von uns keine Ratschläge. Google liefert auf eine entsprechende Anfrage 271’000 Ergebnisse!

L

Listen helfen mit, systematisch zu entrümpeln. Im Internet finden sich zahlreiche Vorlagen.

M

Medikamentenschränke sind meist eine wahre Fundgrube für abgelaufene Produkte. Diese gehören in den Sondermüll oder zurück in die Apotheke.

N

Nachhaltigkeit: Ökologisches Entsorgen ist zwar manchmal mühsam, aber es hinterlässt unter dem Strich ein besseres Gefühl.

O

Ordnung in Schubladen schafft man am besten, indem man sie mit Schachteln in kleinere Unterbereiche unterteilt.

P

Putzen wird einfacher, wenn weniger Ware im Haus ist.

Q

Quittungen. Hier verweisen wir auf den Buchstaben «T».

R

Regale: Hier gilt die Faustregel: Ein Drittel Fläche pro Tablar sollte frei sein. (Nur schon ein Zehntel fühlt sich im Fall gut an!)

S

Strassenrand: Das Angebot «Gratis! Zum Mitnehmen» funktioniert immer, sofern man nicht abgelegen wohnt. Es sollten allerdings gute Sachen sein, Kaputtes gehört in den Müll!

T

Trennstreifen schaffen auf geniale Weise Übersicht in Ordnern. Alle Bürounterlagen erhalten ein passendes Stichwort (etwa «Quittungen») und lassen sich so alphabetisch einordnen. Je nach Anzahl Unterlagen zieht sich das ABC dann über 3, 4 oder 10 Ordner.

U

Unangenehme Gefühle: Briefe, Fotos oder Gegenstände, die Sie nicht glücklich machen, sollten schnellstmöglich weg! Verdrängen ist manchmal durchaus gesund.

V

Verkaufen lohnt sich nur bei sehr teuren Gegenständen.

W

W wie «Will öpper…»: Eine nützliche Verschenk-Plattform auf Facebook. Gegründet in Zürich, mittlerweile gibt es Ableger in anderen Regionen.

X

XXL ist der Schweizer Müllberg. Mit über 700 Kilogramm pro Person hat die Schweiz eines der höchsten Siedlungsabfallaufkommen der Welt.

Y

Yes! Forscher der University of Wisconsin haben herausgefunden, dass bei einer einstündigen Ausmist-Session fast so viele Glückshormone ausgeschüttet werden, wie nach einem 30-minütigen Workout.

Z

Zeichnungen und Bastelarbeiten von Kindern sind Staubfänger. Machen Sie nach einer Weile ein Foto davon und sagen innerlich nochmals Danke! So fällt das Loslassen leichter.

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