Schliessen

Casafair Logo

Gemeinsam statt einsam

           

  Do., 07.11.2019

Immer mehr attraktive gemeinschaftliche Wohnformen entstehen. Das ist auch gut so. Denn es braucht die privaten Alternativen, um das Alter altersgerecht und menschlich zu gestalten. Die Vernetzung von Gerontologie und Architektur bietet hier wichtige Ansätze.

«Wenn wir in die Ferien fahren, ist immer jemand da, der uns zum Abschied winkt und sich freut, wenn wir wieder zurück sind», sagt das ältere Ehepaar, das in einer 3-Zimmer-Wohnung im Scholergarten wohnt, in einem der zwei bewusst gemeinschaftlich gebauten Wohnhäuser in Liestal. Und ergänzt sogleich: «Ein spontaner Kaffee, ein gemeinsames Mittagessen oder die Anteilnahme, wenn es jemandem nicht so gut geht – das ist Lebensqualität.» Dies mache den Unterschied zum Wohnen in einer anonymen Siedlung aus. Im Jahr 2009 wurde das Projekt lanciert. Heute, sieben Jahre nach dem Einzug, sind die Bewohnenden zu einer richtigen Gemeinschaft zusammengewachsen.

Nicht alleine sein

Doch was heisst eigentlich gemeinschaftliches Wohnen? Darauf gibt es die verschiedensten Antworten und Meinungen, und doch lässt sich diese Frage mit einem Satz beantworten: Nicht alleine sein. Die Gesellschaft verändert sich fortlaufend und in beeindruckendem Tempo – digital, wirtschaftlich, aber auch demografisch. Das heisst, unser Zusammenleben gestaltet sich vielschichtiger und komplexer als je zuvor. Bezugsgrössen sind nicht mehr wie gewohnt konstant, sondern wandeln sich. So wird das Rentensystem in Frage gestellt, das kleine Heftchen mit den Abfahrtszeiten gibt es nur noch in digitaler Form und anstelle des Einfamilienhauses mit dem grossen Garten vom Nachbarn steht ein Wohnblock.

Menschen, zumeist ältere, bleiben da in einer Art Beziehungslosigkeit zurück. Die vielbeschworene Unabhängigkeit wird dabei überhöht als Ideal dargestellt. Dabei ist es für uns als soziale Wesen unerlässlich, eingebunden zu sein, gebraucht zu werden und Aufgaben zu haben. Das heisst, wir brauchen Abhängigkeiten, ansonsten ist es schnell schlecht um unsere psychische Gesundheit bestellt. Einsamkeit macht krank.

Vordergründig hemmt vor allem in selbstbewohntem Wohneigentum die finanziell attraktive Situation, sich den veränderten Lebensumständen anzupassen. Doch es ist oft auch die langjährige Wohnsituation, das Vertraute und Gewohnte, das nur mit Mühe losgelassen werden kann. Die Wohnung oder das Haus wird mit der Zeit Ausdruck der eigenen Identität und als «verkörpert» wahrgenommen. Die Wohnung wird zum Synonym für Sicherheit, Kontrolle, Eigentum und Identität.

Zugehörigkeit und Teilhabe

Umso einschneidender sind Erfahrungen, wie still und leer es in der eigenen Wohnung werden kann, wenn die Kinder ausgezogen sind oder der Partner oder die Partnerin nicht mehr da ist. In solchen Situationen sind tragende Nachbarschaften und Gemeinschaften unabdingbar. Sie sind nicht nur Stütze, sondern geben auch das Gefühl von Zugehörigkeit und Teilhabe. In welcher Form das gelebt werden kann, dazu gibt es die verschiedensten Varianten. Einige legen Wert auf eine gute Nachbarschaft, wo man sich spontan trifft, hilft und unterstützt. Wo man genug nah ist und merkt, wenn es jemandem nicht mehr so gut geht. Oder aber, man will gemeinschaftlich etwas zusammen machen, sich treffen und gemeinsam etwas unternehmen – geplant oder auch spontan. Sich dabei für eine Aufgabe zu engagieren, macht Sinn und Spass. Andere wiederum schätzen es, nicht alleine am Küchentisch zu sitzen und wünschen sich mehr Gemeinschaftlichkeit auch in den eigenen vier Wänden. Man möchte dabei die Wohnung mit anderen teilen und trotzdem die Privatsphäre wahren. Altershausgemeinschaft, Clusterwohnung, Mehrgenerationenhaus oder Alters-WG sind einige der Begriffe, mit denen die verschiedenen Wohnformen umschrieben werden.

Nur «schön» reicht nicht

Das verlangt nach ganzheitlichen Architekturkonzepten. Die Innen- wie Aussenräume müssen gestaltet und Ausdruck der dort Wohnenden sein. Leider kommt den meisten Wohn- und Lebensräumen lediglich die Rolle zu, «schön» zu sein. Doch sie müssen in erster Linie auffordern, etwas «zu tun». Das kann auch die Aufforderung sein, sich einfach hinzusetzen und auszuruhen. So kann die schönste Terrasse unbenutzt bleiben, wenn dort die Abfallsäcke deponiert werden. Gibt es dort jedoch einen Liegestuhl mit Sonnenschirm und einen schönen Blumentopf, wird eine Person sofort dazu eingeladen, sich dort aufzuhalten oder vielleicht gar nach den Blumen zu schauen.

Dahinter verbirgt sich nicht nur der Wert, den wir unserem Umfeld beimessen, sondern es verbergen sich noch weitere Aspekte, auf die die Gerontologie und die Architekturpsychologie wichtige Hinweise liefern. Es wird hierbei von einer Mensch-Umwelt-Interaktion gesprochen, der Möglichkeit, eine emotionale Verbindung mit den Räumen um sich herum aufzubauen, sie zu gestalten und sie für sich zu erschliessen. Aber auch der Kontakt zu anderen Menschen, auch ohne direkt mit ihnen zu sprechen, einfach nur auf einer Bank am Teich zu sitzen und den Kindern auf dem Spielplatz zuzuschauen und sich dabei als Teil dieses Ortes zu fühlen, macht einen Raum mit guter Aufenthaltsqualität aus. Sensorische Bedürfnisse wie auch wichtige Kontakt-, Kontrollund Gestaltungsbedürfnisse müssen gestillt werden können.

20190814 144748

Altersgerecht ist mehr als nur barrierefrei

Dem werden die meisten sogenannten altersgerechten Wohnungen kaum gerecht. Meistens handelt es sich nur um barrierefreie Wohnungen, und der «Gemeinschaftsraum», der so etwas wie Gemeinschaftlichkeit suggeriert, ist oft nur ein nüchterner, kahler Multifunktionalraum, der kaum dazu einlädt, sich darin aufzuhalten. Altersgerechtes Wohnen bedeutet sehr viel mehr. Es bedeutet, integriert zu sein, sich aufgehoben zu fühlen und Teil einer tragenden Gemeinschaft zu sein.

Diese Wohn- respektive Lebensformen gewinnen umso mehr an Wichtigkeit, als nach der Berufszeit ein grosser Teil der sozialen Strukturen und Aufgaben wegbrechen. Sich hier für die eigenen Wohn- und Lebensräume zu engagieren, ist von grundlegender Bedeutung. Es braucht diese privaten Alternativen, um die Lücken zwischen Erwerbstätigkeit und Pflegeheim zu füllen – vor allem wenn es uns mal nicht so gut geht. Mit den Ansätzen aus Gerontologie und Architektur können neue Formen des Miteinanders gefunden werden. Bleiben wir dran!

Skills

Posted on

07.11.2019

Werbung