Für die Zukunft bauen und erneuern – Casafair

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Bestehende Häu­ser abreis­sen und an ihrer Stelle neue bauen, scha­det dem Klima erheb­lich. Des­we­gen for­dern jetzt immer mehr Archi­tek­tin­nen und Pla­ner einen Para­dig­men­wech­sel im Erneu­ern und Bauen.

«Ein Haus schö­ner und stol­zer als das andere. Etwa das Fach­werk­haus an der Höhe­matte in Inter­la­ken. Es muss einem Neu­bau wei­chen. Oder der fünf­ge­schos­sige Strick­bau im aus­ser­rho­di­schen Rehe­to­bel: auch er ist dem Abriss geweiht. Und dann die unzäh­li­gen Mehr­fa­mi­li­en­häu­ser aus der Nach­kriegs­zeit- unprä­ten­tiöse, oft solide Rie­gel, wie etwas jene in Zürich-See­bach oder der Berga­cker in Zürich-Affol­tern: eine ganze Sied­lung soll weg­ge­wor­fen wer­den, in über 400 Woh­nun­gen sind aus­ser­dem rund 900 Men­schen von den Plä­nen betroffen.

Das sind nur vier Bei­spiele. Jedes Jahr wer­den in der Schweiz Tau­sende von Häu­sern zu Bau­schutt gemacht. Abriss und Neu­bau an der­sel­ben Stelle sind hier­zu­lande der­art gän­gige Pra­xis, dass dafür sogar ein eige­nes Wort kre­iert wurde: Der « Ersatz­neu­bau ». 500 Kilo­gramm Abfall fal­len durch diese Ver­nich­tung von Bau­struk­tur an-pro Sekunde. Das ergibt pro Jahr einen Zug, der Zürich mit Kap­stadt ver­bin­det, rech­net Rahel Dür­mül­ler vor. Sie ist Mit­glied von Count­down 2030, einer Gruppe von kli­ma­be­wuss­ten Architekt*innen. Der Bau­schutt gelangt in der Rea­li­tät aber nicht nach Süd­afrika, son­dern zum Teil in Depo­nien, wo es auf­grund der hohen Bau­tä­tig­keit bereits Platz­not gibt. In Lies­tal BL etwa ist eine in den Wald gebaute Depo­nie bereits voll, wie der WWF Region Basel auf­deckte- dies auch des­halb, weil die Betrei­ber aus ande­ren Regio­nen Bau­ab­fall impor­tiert hatten.

Nicht aller Bau­schutt wird in Depo­nien ent­sorgt- einen Teil ver­wen­det man ther­misch, bei­spiels­weise zum Hei­zen, oder er geht in die Wie­der­ver­wer­tung. Aber das klinge bes­ser, als es sei, sagt Rahel Dür­mül­ler: «Um Beton zu rezy­klie­ren, braucht es bei­nahe mehr Ener­gie als für die Her­stel­lung von neuem.» Unter dem Strich sei Recy­cling zwar bes­ser als Weg­wer­fen, aber noch viel bes­ser wäre es, die Struk­tu­ren zu erhalten.

Bau­ma­te­ria­lien sind für bei­nahe zehn Pro­zent der Treib­haus­gase in der Schweiz ver­ant­wort­lich, das hat die Eid­ge­nös­si­sche Mate­ri­al­prü­fungs- und For­schungs­an­stalt EMPA aus­ge­rech­net. Inter­na­tio­nal macht der Bau­sek­tor 11 Pro­zent der glo­ba­len ener­gie­be­ding­ten Emis­sio­nen aus, sagt die Inter­na­tio­nale Ener­gie Agen­tur (IEA). Ins­be­son­dere die Her­stel­lung von Stahl und Beton ver­ur­sa­chen sehr grosse Men­gen an CO2. Aber wäh­rend Poli­tik und Hauseigentümer*innen sich der Emis­sio­nen, die in einem Haus durch den Betrieb (Wärme, Warm­was­ser, Strom) ent­ste­hen, mitt­ler­weile bewusst sind, sieht es punkto Grauer Ener­gie noch immer anders aus: Die Treib­haus­gase, die in der Her­stel­lung und beim Trans­port von Mate­ria­lien sowie im Bau ent­ste­hen, sind in Fach­krei­sen erst seit kur­zem Thema. Und in der brei­ten Öffent­lich­keit noch fast gar nicht. Count­down 2030 will des­halb wach­rüt­teln. Das taten sie kürz­lich mit einer Aus­stel­lung zum Thema Abriss im Schwei­zer Archi­tek­tur­mu­seum in Basel. Ein fort­lau­fen­des Pro­jekt der Gruppe ist der par­ti­zi­pa­to­risch ange­legte Abriss-Atlas im Inter­net. Hier fin­den sich auch die ein­gangs erwähn­ten Gebäude, mit Foto und einer kur­zen Beschrei­bung. Jede und jeder kann hier Häu­ser ein­tra­gen, die abge­ris­sen wer­den. Die Region Zürich, Genf, Lau­sanne und Basel-Stadt sind Hot­spots, aber im gan­zen Mit­tel­land wird fleis­sig abgerissen.

Fal­sche Anreize füh­ren dazu, dass ganze Häu­ser weg­ge­wor­fen werden 

Das hat ver­schie­dene Gründe. Allem voran sind Ersatz­neu­bau­ten für insti­tu­tio­nelle Anle­ger wie Pen­si­ons­kas­sen Ren­di­te­ve­hi­kel: Durch den Abriss wer­den jahr­zehn­te­alte Miet­ver­träge legal auf­ge­löst, in den neuen Häu­sern zie­hen neue Men­schen in oft sehr viel teu­rere Woh­nun­gen – mit ihnen lässt sich mehr Ren­dite abschöp­fen. Aus­ser­dem braucht es für neue Häu­ser viele Mate­ria­lien – das freut die Wirt­schaft. Dass Gebäude wegen des Kli­mas ener­ge­tisch saniert wer­den müs­sen, treibt die Dyna­mik zusätz­lich an-es ist absurd: mit dem Ziel Netto Null baut man neue, ener­gie­neu­trale oder sogar ener­gie­po­si­tive Häu­ser, aber durch den Abriss und Neu­bau ver­ur­sacht man Treib­haus­gas­emis­sio­nen in Dimen­sio­nen, die ein neue­res Haus wäh­rend sei­ner gesam­ten Lebens­zeit im Betrieb nie errei­chen wird. Womög­lich wuss­ten das die Politiker*innen und Behör­den noch nicht, als sie jenes Gesetz aus­ar­bei­te­ten, wel­ches das Weg­wer­fen gan­zer Häu­ser för­dert: Seit dem 1.Januar 2020 näm­lich kön­nen bei Abriss und Neu­bau die Rück­bau­kos­ten von den direk­ten Bun­des­steu­ern abge­zo­gen werden.

Sol­che Fehl­an­reize müs­sen drin­gend besei­tigt wer­den, for­dert Count­down 2030 und hat des­halb auch eine Peti­tion gestar­tet. Sie ver­langt von Bun­des­rat und Par­la­ment zudem, dass die Ent­sor­gungs­kos­ten bei Abris­sen ver­teu­ert wer­den, es für diese über­haupt eine Bewil­li­gungs­pflicht gibt und dass die öffent­li­che Hand – Gemein­den, Kan­tone, Bund – bei ihren eige­nen Bau­ten mit gutem Bei­spiel vor­an­geht.
Wer in einem Haus wohnt, das einem insti­tu­tio­nel­len oder pri­va­ten Besit­zer gehört, hat grund­sätz­lich kei­nen Ein­fluss dar­auf, was mit ihm pas­siert, wenn es saniert wer­den muss. Aber wer ein Haus besitzt und über seine Zukunft ent­schei­det, betä­tigt in dem Moment einen der grös­se­ren per­sön­lich zur Ver­fü­gung ste­hen­den Hebel für oder gegen das Klima.

Dass die kli­ma­freund­li­che Erneue­rung des Bestan­des auch eine Auf­gabe ist ‚die Archi­tek­tin­nen und Pla­ner zuneh­mend als will­kom­mene krea­tive Her­aus­for­de­rung sehen, zeigt eine Ent­wick­lung an den Uni­ver­si­tä­ten und Hoch­schu­len: Heute Stu­die­rende wol­len jetzt ler­nen, wie Bauen im Bestand und Wei­ter­bauen geht, sie for­dern das sogar mit Nach­druck, sagen ver­schie­dene Fach­leute – auch Rahel Dür­mül­ler von Count­down 2030: «Unser Beruf wurde poli­ti­scher. Soziale und öko­lo­gi­sche Zusam­men­hänge wer­den wich­ti­ger. Dabei wol­len wir natür­lich wei­ter­hin hoch­ste­hende Bau­kul­tur schaffen.»

Inspi­ra­tion, um gemäss dem Nach­hal­tig­keits­prin­zip «Repair, Reuse, Recy­cle» hoch­ste­hend zu erneu­ern, kommt aus den Bene­lux-Län­dern und auch aus Frank­reich: Letz­tes Jahr hat das Archi­tek­tur­team Laca­ton Vas­sal mit dem Pritz­ker-Preis quasi den Nobel­preis für Archi­tek­tur zuge­spro­chen erhal­ten. Laca­ton Vas­sal sind Expert*innen des Wei­ter­bau­ens – in Bor­deaux haben sie gezeigt, wie selbst ein rie­si­ger Wohn­block mit Sozi­al­woh­nun­gen nicht nur erneu­ert, son­dern auch auf­ge­wer­tet wer­den kann.

Eine Exper­tin für das Wei­ter­bauen bei Ein­fa­mi­li­en­häu­sern und ande­ren klei­nen Wohn­bau­ten ist die West­schwei­ze­rin Mari­ette Beye­ler. Sie sieht diese Häu­ser als «wun­der­ba­ren Roh­stoff» zum Wei­ter­ent­wi­ckeln und sie neuen Bedürf­nis­sen anzu­pas­sen. Auch für ältere Per­so­nen, die Mühe haben, ihr Haus, das sie einst mit Pen­si­ons­kas­sen­geld finan­zier­ten, über­haupt hal­ten zu kön­nen, sei das Wei­ter­bauen eine Alter­na­tive, sagt Mari­ette Beye­ler: «Ihnen bie­tet sich eine auf den ers­ten Blick para­dox anmu­tende Alter­na­tive: Anstatt zu ver­kau­fen, kön­nen sie in die Lie­gen­schaft inves­tie­ren, um eine zusätz­li­che Woh­nung zu schaf­fen, die sie dann ver­mie­ten. So haben sie Ein­nah­men und kön­nen sel­ber wei­ter im Haus woh­nen.» Unter Umstän­den könn­ten schon dreis­sig zusätz­li­che Qua­drat­me­ter aus­rei­chen, um das Haus zu ent­flech­ten, neu zu orga­ni­sie­ren und die Woh­nun­gen unab­hän­gig von­ein­an­der zu erschlies­sen, sagt Beye­ler. Auch öko­lo­gisch macht das Sinn, denn wer sein Haus und Grund­stück heut­zu­tage ver­kauft, muss damit rech­nen, dass der neue Besit­zer-oft ein insti­tu­tio­nel­ler Inves­tor – abreisst und neu baut.

Es braucht ein CO2-Bud­get beim Bauen 

Damit end­lich grund­sätz­lich weni­ger abge­ris­sen und mehr im Bestand erneu­ert und wei­ter gebaut wird, braucht es neue Gesetze. Die Bau­phy­si­ke­rin Nadège Vet­terli, die bei Anex Inge­nieure arbei­tet und als Externe fürs Bun­des­amt für Ener­gie das For­schungs­pro­gramm «Gebäude und Städte» lei­tet, for­dert eine Kli­ma­bi­lan­zie­rung bei Bau­vor­ha­ben. Sie sagt: «Es braucht ein Gesetz, das dafür sorgt, dass nicht nur die Betriebs­en­er­gie bilan­ziert wird, son­dern auch die graue Ener­gie.» Es soll also ein CO2-Bud­get beim Bauen geben. Ein sol­ches Gesetz wird nun in Bun­des­bern erar­bei­tet, die Kom­mis­sion hat bis 2024 Zeit. Was die Ein­fa­mi­li­en­häu­ser betrifft, gibt es aber noch einen zwei­ten gros­sen Hebel, sagt Nadège Vet­terli: «Es geht um den Flä­chen­be­darf pro Per­son. Die­ser ist in den CO2-Berech­nun­gen beson­ders rele­vant, wie sich gezeigt hat- und in Ein­fa­mi­li­en­häu­sern ist der Flä­chen­ver­brauch beson­ders hoch. Es soll des­halb künf­tig einen Grenz­wert geben oder eine per­so­nen­be­zo­gene Berech­nung.» Diese Dis­kus­sion sei aber noch weni­ger weit gereift. Und sie wird es schwie­ri­ger haben, «denn alles, was in Rich­tung Suf­fi­zi­enz geht, mögen die Leute weni­ger» sagt Nadège Vet­terli. Hin­ge­gen sieht sie bei Ein­fa­mi­lien- und klei­ne­ren Mehr­fa­mi­li­en­häu­sern ein gros­ses Poten­zial für das Wei­ter – und Wie­der­ver­wen­den bereits bestehen­der Bau­teile respek­tive zuvor anderswo genutz­ter Mate­ria­lien, «weil man klei­nere Men­gen braucht als bei gros­sen Gebäuden.»

Den Pla­nungs­pro­zess umdrehen 

Geht es um das Ret­ten, Auf­be­rei­ten und Zugäng­lich­ma­chen von bestehen­den Mate­ria­lien und Bau­tei­len, ist man bei Karin Sid­ler an der rich­ti­gen Adresse – und bei ihrem Sozi­al­un­ter­neh­men Syphon AG in Brügg bei Biel BE. Die­ses hat von Boden­be­lä­gen, Boi­lern, Dach­zie­geln, Ferns­tern, Lüf­tungs­roh­ren, Radia­to­ren bis zu Zahn­glas­hal­te­run­gen so ziem­lich alles im Ange­bot. Sid­ler nimmt ein zuneh­men­des Inter­esse am Wie­der­ver­wen­den von Bestehen­dem wahr, «viele Eigen­heim­be­sit­zer kom­men zu uns, aber auch Mie­te­rin­nen und Ver­wal­tun­gen.» Das noch vor zwei Jah­ren gut gefüllte Holz- und Par­kett­la­ger sei inzwi­schen fast leer: «Alles, was wir haben, geht sofort wie­der raus.» Das hat mit Lie­fer­eng­päs­sen bei neuen Pro­duk­ten zu tun, aber auch damit, dass die Leute zuneh­mend umden­ken, weiss die Geschäfts­lei­te­rin und Exper­tin für Kreislaufwirtschaft.

Mit bestehen­den Mate­ria­lien zu bauen, bedeu­tet laut Karin Sid­ler: «Man muss den gesam­ten Pla­nungs­pro­zess umdre­hen. Ich muss das Mate­rial näm­lich kau­fen, bevor ich den Plan mache – denn die­ser rich­tet sich nach dem Mas­sen der Bau­teile, die ich ein­kau­fen kann.» Die Schwie­rig­keit dabei sei zum einen, dass eine Inves­to­rin oder ein Bau­herr Geld auf den Tisch legen muss, bevor der Plan vor­liegt. Die zweite Schwie­rig­keit liege im Bau­ge­such: «Wenn ich die Bau­teile habe, kann ich den Plan machen und anschlies­send das Bau­ge­such ein­rei­chen – aber es gibt beim Wie­der­ver­wen­den von Mate­ria­lien stets Unge­wiss­hei­ten – und wie die Gemein­den Bau­be­wil­li­gun­gen ertei­len, ist sehr unter­schied­lich. Im ungüns­ti­gen Fall gerät man einen Teu­fels­kreis, weil ohne Bau­be­wil­li­gung das Geld nicht fliesst, das es braucht, um die nöti­gen Mate­ria­lien zu kau­fen.» Hilf­reich, sagt sie, seien Gesetze , die die Kreis­lauf­wirt­schaft för­dern und ver­ein­fa­chen. Und wie es aus­sieht, will eine grosse Mehr­heit der Bevöl­ke­rung genau das ohne­hin: Gerade sag­ten die Stimm­be­rech­tig­ten im Kan­ton Zürich mit sagen­haf­ten 89.3 Pro­zent Ja zu einem Kreis­lauf-Arti­kel, der den scho­nen­den Umgang mit Res­sour­cen in der Kan­tons­ver­fas­sung ver­an­kert. Und par­al­lel ist man – beson­ders an der ETH Zürich und Lau­sanne und bei der EMPA- daran, her­aus­zu­fin­den, wie neue Gebäude von Beginn an kreis­lauf­fä­hig gebaut wer­den kön­nen, indem sie sich zu einem spä­te­ren Zeit­punkt ein­fach wie­der aus­ein­an­der­neh­men und neu zusam­men­set­zen las­sen. So kön­nen all die schö­nen und soli­den Häu­ser, in denen so viel unsicht­bare Ener­gie steckt, künf­tig ziem­lich ein­fach aus­ein­an­der­ge­nom­men und ihre Teile neu ver­wen­det wer­den. Mit dem Weg­wer­fen ist dann Schluss.

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