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Dorfplätze statt Heime

Mit fortschreitendem Alter kann das Thema «Pflegeheim» aufs Tapet kommen. Vielen graut davor, sind doch viele Institutionen mehr funktionell als wohnlich gebaut. Es geht aber auch anders. Der Beitrag von Architektin Sandra Remund.

In einem Artikel war kürzlich zu lesen, wie sich Architekten mit der Bauaufgabe eines sehr schönen Pflegeheims auseinandergesetzt haben. Sie haben sich dafür engagiert, dass das Heim nicht als Klinik in Erscheinung tritt, sondern dass dieses einem lebendigen Dorf ähnlich konzipiert wird.

In einem Artikel war kürzlich zu lesen, wie sich Architekten mit der Bauaufgabe eines sehr schönen Pflegeheims auseinandergesetzt haben. Sie haben sich dafür engagiert, dass das Heim nicht als Klinik in Erscheinung tritt, sondern dass dieses einem lebendigen Dorf ähnlich konzipiert wird. Ein Ort, an welchem die BewohnerInnen gerne zu Hause sind. Sämtliche Entscheide, welche es für die Entwicklung des Bauprojektes zu fällen gab, stellten die Architekten in diesen Kontext. Was steckt hinter dem Wunsch, ein Pflegeheim einem Dorf oder einem Quartier ähnlich zu entwickeln? Was macht ein Dorf lebendig? Und warum fühlen wir uns an einem bestimmten Ort zu Hause?

Wohnen rückt im Alter ins Zentrum

Mit dem Austritt aus dem Erwerbsleben und mit zunehmender Fragilität gewinnen das direkte Wohnumfeld und die Wohnsituation an Bedeutung. Das Dorf oder das Quartier werden zunehmend zum Lebensmittelpunkt. Die natürliche Lebendigkeit eines Dorfes wie das Nebeneinander von Wohnen und Infrastruktur, von Jung und Alt, von Laut und Leise oder von Öffentlichkeit und Privatem prägen die Welt in einem immer kleiner werdenden Radius. Verbundenheit, Zugehörigkeit, Autonomie, Sicherheit und soziale Kontakte sind ausschlaggebend dafür, ob wir uns «daheim» fühlen können. Die Architektur kann sehr wohl ihren Beitrag leisten, beeinflusst unser Empfinden gegenüber dem gelebten Raum und berührt uns emotional. Ein Zuhause lässt sich aber nicht nur mit der Konzeption des Raumes gestalten. Es geht auch um die Bedeutung des Raumes über die eigenen vier Wände hinaus. Es geht um die Bedeutung des Zusammenlebens, um die Bedeutung von Alltag und Normalität mit all seinen schönen und beschwerlichen Seiten. Es geht also um die Bedeutung des Wohnens im erweiterten Sinn, um das Leben im gewohnten Kontext, zum Beispiel im Dorf.

Die Reduktion unseres Daseins auf ein schönes Zimmer in einem wohnlich gestalteten Pflegeheim, in welchem zahlreiche solche Zimmer untergebracht sind, die allesamt von Menschen aus derselben Generation bewohnt sind, hat wenig mit dem Leben in einem Dorf zu tun. Wir werden aller häuslichen Aufgaben und Pflichten entbunden mit dem Ziel, unseren Lebensabend umsorgt geniessen zu können. Dies hat auch nur wenig mit dem Wohnen zu tun, welches wir ein Leben lang gekannt haben. Es ist daher kaum erstaunlich, dass sich viele Menschen den Umzug in ein klassisches Pflegeheim nicht vorstellen können; die Zäsur zu ihrem bisherigen Leben ist einfach zu gross. Dabei wäre Kontinuität gewünscht!

Bedürfnis nach Selbstbestimmung

Die «neue» ältere Generation hat gelernt, für ihre Wünsche und Bedürfnisse einzustehen und über die eigene Wohn- und Lebensform selber zu bestimmen. Sie fordert dies jetzt auch für den letzten Lebensabschnitt ein. Wo sich die «alte» ältere Generation eher gewohnt war, sich in ihr Schicksal zu fügen, sind heute Selbstbestimmung und Wahlfreiheit ein grosses Thema. Die Haltung hinter der Konzeption von stationären Wohn- und Betreuungsangeboten für älter werdende Menschen ist darum zu hinterfragen.

Der ambulante Bereich reagierte mit organisierten Wohnformen auf die gesellschaftlichen Veränderungen. Etwa mit betreutem Wohnen oder dem Wohnen mit Dienstleistungen. Selbständiges Wohnen, möglichst im Dorfzentrum und mit Unterstützung bei Bedarf sind das Ziel. Diese Modelle zeugen von Vielfalt, und die entsprechenden Angebote stehen ganz im Sinne der gewünschten Selbstbestimmtheit und Wahlfreiheit von zukünftigen Senioren. Zentral dabei: Alle diese organisierten Wohnmodelle gehen vom Wohnungsbau aus und orientieren sich sowohl betreffend Standort, Erscheinung, Grundriss als auch Innenraumgestaltung am Wohnen.

Im Gegensatz dazu ist die Haltung bei der Entwicklung von stationären Angeboten wie Pflegeheimen noch sehr institutionell geprägt. Die Bedürfnisse der älter werdenden Menschen rund ums Wohnen werden dabei immer noch grösstenteils der betrieblichen Organisation unterstellt. Strukturell hat sich in den letzten Jahrzehnten zum Glück vieles verändert. Das Heim wird kaum noch als Klinik interpretiert, sondern erinnert zunehmend an eine wohnlich gestaltete Hotelstruktur. Die eigentliche Auseinandersetzung mit dem Wohnen findet jedoch selten statt. Die Wohnform Pflegeheim wird darum trotz gestalterischer Bemühungen in erster Linie als Institution erlebt und ist den meisten Menschen fremd.

Alternativen sind gefragt

Als Ausnahme ist hier die Wohnform Pflegewohngruppe zu nennen. Solche gibt es in der Schweiz seit den 1980er-Jahren und sind der Beweis dafür, dass auch im stationären Bereich Konzepte mit dem Fokus Wohnen möglich sind. Diese Wohnform unterscheidet sich vom Pflegeheim durch die Ausrichtung an der «Normalität». Sie stellt das Wohnen ins Zentrum und der Betrieb nimmt sich zurück. Die Bewohner leben in Gruppen von 8 bis 12 Personen in einer Grosswohnung. Durch die Wohnungstypologie kann eine Pflegewohngruppe in ein normales Wohnhaus in einer Wohnüberbauung integriert werden. Der Ausbau der Wohnung hat Wohnungscharakter und ist entsprechend gestaltet und materialisiert. Der 24- Stunden-Betrieb orientiert sich nicht an der Versorgung, sondern am gewohnten Alltag der Bewohner. Die häuslichen Tätigkeiten wie Kochen, Waschen oder Putzen sind im Tagesablauf integriert und die Bewohner haben die Möglichkeit sich zu beteiligen, wenn sie dies wünschen. Diese Wohnform strebt die Nähe zum gewohnten Leben im gewohnten Umfeld mit der Verrichtung von gewohnten Alltagsaktivitäten an.

Alternativ zum klassischen Pflegeheim ist die Pflegewohngruppe also eine stationäre Wohnform für Menschen, welche die Kontinuität im Wohnen wünschen. In Kombination mit ambulanten Wohnformen und der Vernetzung mit weiteren Ressourcen und Dienstleistungen kann damit eine Angebotsstruktur entwickelt werden, welche sich bedürfnisgerecht und wohnungsnah ins Dorf integrieren lässt. Nicht «wie in einem Dorf leben», sondern «im Dorf bleiben» muss das Ziel sein! Die Auseinandersetzung mit dem Wohnen im erweiterten Sinn ist der Schlüssel zu diesem Ziel.

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