Die sieben Leben des Eigenmietwerts
Mit einer unglaublichen Hartnäckigkeit taucht das Thema Eigenmietwert immer wieder auf der politischen Agenda auf. Wenige Themen, die derart oft totgesagt wurden, die abgefeuerten Breitseiten aber doch immer wieder überlebten. Zentralvorstands-Mitglied Michael Wohlgemuth verortet im Thema ein vom HEV äusserst geschätztes Instrument, welches die Existenzberechtigung des Verbandes auf lange Sicht zementieren soll.
Seit Jahrzehnten wird um den Eigenmietwert gestritten. Vor allem der Hauseigentümerverband wird nicht müde, die Abschaffung des Steuerpostens zu propagieren. Alle paar Jahre eine Initiative – mal kantonal, mal national. Der Eigenmietwert ist das perfekte Werbevehikel für den Hauseigentümerverband.
Der Eigenmietwert ist auch eine etwas seltsame Erfindung. Viele wollen nicht begreifen; dass sie ein Einkommen versteuern sollen, das sie nie auf dem Konto sehen. Und weil die meisten BürgerInnen das System nicht recht verstehen, kann der Hauseigentümerverband es immer wieder probieren.
Doch vermutlich wird der Eigenmietwert auch diesmal überleben. Der Hauseigentümerverband wird doch ungern auf dieses geliebte Ärgernis verzichten, kann er sich doch damit als Anwalt der kleinen Hausbesitzer positionieren und ansonsten in Ruhe die Interessen der Bau- und Immobilienwirtschaft vertreten.
Wer «A» sagt …
Eigentlich ist der Eigenmietwert ja eine Erfindung zugunsten der Hauseigentümer. Das war vor etwas mehr als hundert Jahren. Wohnen war vormals Privatsache: keine Steuerabzüge, kein Aufschlag des Eigenmietwertes zum Einkommen. So war die Sache im Lot.
Dann hatten die Leute von der Bank eine gute Idee: Wie wäre es, wenn das Steueramt den Wohneigentümer wie einen Unternehmer behandelte? Dann könnte er Kredit aufnehmen und seine Kosten am Ertrag abziehen. Das Haus wird ein Unternehmen! Das war die Win-win-Idee für Banken und Hauserwerber. Und sie hat funktioniert.
Weil das alles schon so lange her ist, haben sich die HauseigentümerInnen gut darin eingelebt: Abzüge machen? Super: Zins, Unterhalt Energiesparen? Die Abzüge sind zum Menschenrecht geworden. Aber der Eigenmietwert? Was ist das? Dabei ist es doch klar, dass ein Unternehmen Erträge UND Auslagen hat. Nur Abzüge machen, ohne sich einen Ertrag aufrechnen zu lassen, das gäbe eine krasse Ungerechtigkeit gegenüber den Mietenden. Die können das Wohnen ja auch nicht bei den Steuern abziehen.
Wer den Eigenmietwert abschaffen und die Abzüge belassen will, argumentiert unredlich. Die Kosten der privaten Lebensführung gehören ganz grundsätzlich nicht auf den Steuerzettel. Wer also zwecks Wohneigentumsförderung eine Ausnahme will, muss den Eigenmietwert akzeptieren.
Futter für den politischen Betrieb
Nun ist dieser fiktive Eigenmietwert nicht immer einfach zu bestimmen. Aber dafür lässt sich wunderbar daran herumschrauben. Gleich viel wie der Mietwert eines Vergleichsobjektes? Oder nur 70 Prozent dieses Marktmietwertes? Maximal 60 Prozent wären doch schöner. Und dann bitte möglichst viele Abzüge. Da wird der Hauseigentümerverband kreativ: Zinsen und Unterhalt, Unternutzungsabzug, Bausparabzug. Was könnten wir denn noch abziehen? Damit lässt sich Politik machen.
Es wird gefeilscht, dass sich die Balken biegen. Der Hauseigentümerverband schiesst, so scharf es geht, ohne das liebe Tier zu töten. Es soll nur lahmen, nicht sterben! Denn auch der Hauseigentümerverband weiss: ohne Eigenmietwert keine Abzüge und kein Werbevehikel.
Und wenn der Eigenmietwert die Angriffe auch diesmal überlebt, so ergibt sich daraus doch die Möglichkeit, mit dem selben Thema in einigen Jahren erneut Medienaufmerksamkeit zu erheischen.
Der Autor
Michael Wohlgemuth
Architekt, Mitglied Zentralvorstand
Aus «casanostra» 151 - Juni 2019