Bauen mit Holz – traditionell und hochmodern
Dank digitaler Planungs- und Verarbeitungstechniken hat sich der Holzbau in letzter Zeit stark entwickelt. Der natürliche Baustoff schont das Klima und eignet sich aufgrund seines leichten Gewichts bestens für Aufstockungen oder vorgefertigte Modulbauten. Seit rund zehn Jahren entstehen auch grosse Wohnüberbauungen aus Holz.
In Winterthur, auf dem Areal der ehemaligen Lokomotivfabrik, ist soeben ein imposantes Holzhaus fertig geworden. Das «Krokodil» – benannt nach einer der bekanntesten Schweizer Lokomotiven – ist eine Blockrandbebauung, umfasst sechs bis acht Stockwerke und rund 250 Wohnungen. Noch selten wurde hierzulande in einem einzigen Haus derart viel Holz verbaut.
In Zug plant der Elektrogerätehersteller V-Zug einen weiteren Rekordbau aus Holz. «Projekt Pi» soll künftig unter anderem bezahlbaren Wohnraum für V-Zug-Mitarbeitende bieten – im Zentralschweizer Steuerparadies für einfache Leute ein rares Gut. Mit 28 Stockwerken und 80 Metern Höhe würde Pi zum höchsten Holzhochhaus der Schweiz. Aktuell stehen die höchsten Holzbauten im zugerischen Rotkreuz: Das 36 Meter hohe Bürogebäude «Suurstoffi 22» und der 60 Meter hohe Turm «Arbo» der Hochschule Luzern.
Aber Holz brennt doch?
Vor wenigen Jahren hätten solche Gebäude noch gegen die Baunormen verstossen: Bis Ende 2004 waren hierzulande nur zweistöckige Bauten aus Holz erlaubt. Dank der Revision der Brandschutzvorschriften der Vereinigung Kantonaler Feuerversicherungen hat sich das geändert. Heute sind brandschutztechnisch robuste, mit nichtbrennbaren Verkleidungen geschützte Holzbauteile anderen Bauweisen gleichgestellt. Auch die Nutzung von Holzgebäuden ist nicht mehr eingeschränkt. Bis zu einer Gesamthöhe von 30 Metern dürfen heute Wohn-, Büro- und Schulhäuser, Industrie- und Gewerbebauten, Hotels und Verkaufsgeschäfte in Holzbau realisiert werden. Selbst Hochhäuser, die über dieses Mass hinausgehen, erhalten unter bestimmten Rahmenbedingungen grünes Licht.
Um dies zu erreichen, hat die Holzbranche viel investiert und in jahrzehntelanger Forschungsarbeit sichere Brandschutzlösungen entwickelt – unter anderem in Kooperation mit der Vereinigung Kantonaler Feuerversicherungen VKF, dem Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverein SIA, der Materialforschungsanstalt Empa und der Berner Fachhochschule. Michael Meuter, Mediensprecher von Lignum, dem Dachverband der Schweizer Holzwirtschaft, nennt ein Beispiel: «Horizontale Schutzmassnahmen wie Schürzen in der Fassade verhindern, dass ein Feuer sich über mehrere Geschosse ausbreitet.»
Ein Blick in die Schulungsunterlagen von Feuerwehrmannschaften zeigt ausserdem, dass auch andere Baustoffe im Brandfall Schwächen aufweisen: Kunststoffe – etwa Bodenbeläge oder Dämmmaterial – sind leicht entzündlich.Vermeintlich stabile Metalle wie Stahl oder Gusseisen leiten Wärme weiter und können so einen Brand auf andere Bauteile übertragen. Ausserdem verlieren sie bei hohen Temperaturen ihre Tragfähigkeit.
Holzbalken behalten ihre Stabilität dagegen sehr lange. Laut Lignum hat dies folgenden Grund: «Selbst trockenes Holz enthält noch Wasser, das zuerst verdampfen muss.» Die Verbrennung beginne erst bei rund 270 Grad. «Auch wenn Holz in einem 1000 Grad heissen Feuer brennt, bleibt es schon einen Zentimeter unter der verkohlten Oberfläche unbeschädigt und der Restquerschnitt tragfähig. Stahl verliert hingegen schon ab 450 Grad seine Tragfähigkeit, und die Druckfestigkeit von Beton reduziert sich bei 650 Grad um zwei Drittel.»
Boom bei Genossenschaften und öffentlichen Bauten
Wirken sich die Lockerungen der Vorschriften auf den Holzabsatz in der Baubranche aus? Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) hat die Berner Fachhochschule BFH beauftragt, den Holzendverbrauch über mehrere Jahre hinweg auszuwerten. Ihr Befund: Im Vergleich zum Jahr 2012 gab es bis 2018 für die Bereiche Bauwesen, Möbel und Innenausbau, Holz im Aussenbereich, Verpackungen und Holzwaren einen Zuwachs von rund 10 Prozent. Besonders deutlich zeigte sich das Wachstum bei Mehrfamilienhäusern (plus 10 Prozent) und öffentlichen Gebäuden (plus 72,4 Prozent). Dennoch: Der Marktanteil von Holz am gesamten Schweizer Baugeschehen erreicht erst bescheidene 15 Prozent. Bislang sind es vornehmlich Bauherrschaften mit einer starken Ausrichtung auf Nachhaltigkeit, die auf Holz setzen.
«Neben der öffentlichen Hand haben vor allem Genossenschaften die neuen Möglichkeiten genutzt», erklärt Michael Meuter. «Sie zeigen hohes Interesse an nachhaltigem Bauen und versuchen mit Holzbauten gezielt einen Beitrag zum Klimaschutz zu erreichen.» Andreas Wirz, Architekt und Vorstandsmitglied der Wohnbaugenossenschaften Zürich, bestätigt dies: «Genossenschaften waren schon immer sehr innovativ. Und sie planen für Generationen, nicht für den kurzfristigen Gewinn.» Er war mit seiner Firma Archipel sowohl beim Projekt Krokodil in Winterthur als auch beim Holzhochhaus Pi beteiligt.
Holzbauten sorgen für gutes Klima
Theoretisch speichert jeder Kubikmeter Holz etwa eine Tonne CO2 und entlastet damit die Atmosphäre. Als Ersatz für energieintensive Baustoffe spart er gleich noch einmal etwa eine Tonne CO2. Laut Wirz ist es jedoch nicht ganz einfach, die Klimaschutzwirkung eines Holzhauses genau zu berechnen und zu deklarieren. Das in Bauholz gespeicherte CO2 werde heute in den offiziellen Ökobilanzen des Baubereichs (KBOB) noch nicht angerechnet. «Wahrscheinlich schaffen wir das erst, wenn wir garantieren können, dass die Holzbalken nach dem Abbruch eines Hauses nicht verfeuert, sondern in Salatschüsseln umgeschnitzt werden», illustriert er das Dilemma schmunzelnd. Aber eines sei klar: «Wenn wir jetzt CO2 in einem Gebäude für 70 oder 100 Jahre binden, gewinnen wir zumindest Zeit, um andere Klimaschutzmassnahmen voranzutreiben.»
Ganz der Nachhaltigkeit verpflichtet, nimmt Wirz jedoch auch den Baustoff Holz gründlich unter die Lupe: «Lange Transportwege beeinträchtigen die gute Ökobilanz.» Auch beim Energieverbrauch der Holztrocknungsanlagen gebe es noch Verbesserungspotenzial. Einige würden nach wie vor mit fossilen Brennstoffen betrieben. «Doch erste Firmen haben nun mit der Umstellung begonnen.» Auch den hohen Leimanteil in manchen Holzbaustoffen gelte es kritisch zu betrachten, erklärt Wirz. «Da gibt es in Sachen Ökologie sicherlich noch etwas Luft nach oben.»
Ein Fan von Holz ist er trotzdem: «Baustellen von Holzhäusern sind einfach schöner.» Sie seien weniger feucht und kalt. Von den guten Materialeigenschaften des Holzes profitieren auch die Nutzerinnen und Nutzer: «In einem Holzneubau herrscht von Anfang an ein angenehmes Raumklima», erklärt Wirz. Holz riecht gut, kann an schwülen Tagen Luftfeuchtigkeit aufnehmen und an trockenen wieder abgeben. Ein weiterer Vorteil des Bauens mit Holz: «Der ganze Bauprozess und das Endprodukt lassen sich extrem gut planen», erklärt Wirz. «Einzig beim Trittschall darf man sich keinen Schnitzer erlauben, in Holzbauten lässt sich das im Nachhinein schlecht ausbügeln.»
Digitalisierung in der Holzbranche
Dank digitaler Planungs- und Verarbeitungstechniken hat sich der Holzbau in letzter Zeit stark entwickelt. «Die Holzbranche hat den Trend zu computergestütztem Design (CAD) schon in den 80er-Jahren aufgenommen», sagt Meuter. «Ein Holzbauer ist sich heute gewohnt, ein Gebäude als digitales 3-D-Modell zu planen.» Computergesteuerte Fräsen bearbeiten Holz heute schneller und präziser als jeder Mensch. Zudem sind sie imstande, sehr komplexe Formen herzustellen. Ein weiteres Plus: Holz ist relativ leicht, deshalb lassen sich grosse Bauteile vorfertigen und auf die Baustelle transportieren – also ganze Wände mit bereits eingebauten Fenstern, fixfertige Nasszellen oder Elemente für eine kunstvolle Kuppeldecke. Aufgrund des leichten Gewichts eignet sich Holz auch für Aufstockungen oder als Neubau auf einem alten Fundament.
Hundert Mal das Gleiche
Besonders interessant wird die Systembauweise bei modularen Bauten, bei denen ganze Raumzellen für Hotels, Studentenwohnungen oder Schulen vorgefertigt werden. Das vergünstigt die Produktion, schützt beim Bau vor Wetterkapriolen und eliminiert die kostentreibende kurzfristige Planung auf der Baustelle. Gelungene Beispiele dafür sind das Sporthotel Bever Lodge im Engadin, die temporären Schulpavillons in der Stadt Zürich oder die Siedlung Fogo für Studierende und Asylsuchende beim Bahnhof Zürich-Altstetten. «Auch Leute, die ein individuelles Einfamilienhaus in Holz bauen möchten, schauen sich am besten nach Anbietern von Systembauten um», sagt Wirz. «Obwohl dabei vieles vom Profi hergestellt wird, kann man als Bauherrschaft nach Wunsch gewisse Arbeiten auch selber ausführen.»
Preislich seien Holzhäuser laut seiner Erfahrung mit grösseren Siedlungen etwa drei bis fünf Prozent teurer. Dafür erhalte man eine gute Wohnqualität. Michael Meuter von Lignum schätzt dies etwas optimistischer ein. Er verweist auf die druckfrische Studie «Holzbaukennzahlen für Investoren». Das Planungs- und Beratungsbüro Wüest Partner hat im Auftrag des Bundesamtes für Umwelt acht grosse Holzbauprojekte der letzten Jahre ausgewertet. Fazit: Der ökologische Leader Holzbau kann auch bei Investorenprojekten ökonomisch mithalten, auch wenn das überprüfte Sample noch zu klein ist, um alle Details zu klären. Meuter ergänzt: Ein Einfamilienhaus sei auf jeden Fall preislich gleichauf mit einem Bau derselben Klasse in Massivbauweise.
Sicher ist: Auch Casafair-Mitglieder sind begeistert von Holzhäusern. Auf einen Aufruf im letzten Casanostra, der Redaktion tolle Holzbauten zu melden, haben zahlreiche Mitglieder reagiert, die selber mit Holz gebaut haben. Einige dieser Bijoux sind nun im Heft abgebildet und animieren vielleicht zum Nachahmen. Spezialisierte Fachleute und Firmen finden sich im Mitgliederverzeichnis des Verbands «Holzbau Schweiz». «Betriebe, die mit ‹Holzbau plus› ausgezeichnet sind, verfügen über eine exzellente Leistungskultur auf der Basis des Gesamtarbeitsvertrags Holzbau», erklärt Michael Meuter. Zusätzlich rät er, jeweils die Webseiten der Betriebe zu konsultieren und Referenzobjekte zu besuchen.
Wer für seinen Innenausbau einen guten Betrieb sucht, fragt beim Verband Schweizerischer Schreinermeister und Möbelfabrikanten nach. Und last but not least sind auch die Beraterinnen und Berater von Casafair immer eine gute Anlaufstelle für Tipps und Adressempfehlungen
Die Autorin
© zvg/mad
Mirella Wepf
Journalistin
Aus «casanostra» 162