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Es gibt nicht genügend Ressourcen und viel zu viel Abfall! Darum braucht es eine Strategie für die Wiederverwendung von Bauelementen, um ihnen zu neuem Leben zu verhelfen. Ziel ist, lokal verfügbares Material zu nutzen und lokales Fachwissen im Hinblick auf eine Kreislaufwirtschaft im Baugewerbe aufzubauen. Doch worin besteht der Unterschied zwischen Wiederverwendung und Recycling? Bei der Wiederverwendung bleibt die Form oder Funktion eines Elements erhalten (ein Fenster bleibt ein Fenster oder wird zu einem Trennelement), während beim Recycling der Werkstoff erhalten bleibt (ein geschredderter Holzbalken wird zu einer Spanplatte).

In der Schweiz machen Bauabfälle fast zwei Drittel des gesamten Abfallvolumens aus. Die meisten Bauabfälle werden sortiert, behandelt und rezykliert. Recycling ist allerdings mit einem hohen Energieverbrauch für den Transport und die Materialaufbereitung verbunden und führt zu einem Qualitätsverlust.

Weltweit gehen die Ressourcen zur Neige. Der Bausektor trägt seinen Teil dazu bei: Laut der Europäischen Kommission sind Bau und Betrieb von Gebäuden in der Europäischen Union für fast die Hälfte der gesamten Materialentnahme verantwortlich.

In der Schweiz ist der Bausektor für 40 Prozent des Energiebedarfs und fast 25 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. Um ihren ökologischen Fussabdruck zu reduzieren, muss sich die Branche schnell weiterentwickeln und einen Paradigmenwechsel vornehmen. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten zur Verbesserung.

Gesunder Menschenverstand

Die Praxis der Wiederverwendung zieht sich – oft von der schieren Notwendigkeit und gesundem Menschenverstand getrieben – durch die gesamte Menschheitsgeschichte. Vor der Industrialisierung wurden die meisten Baumaterialien lokal beschafft und die Wiederverwendung war aus Wirtschaftlichkeitsgründen die Regel. Der reine Akt des Bauens erzeugte sehr wenig Abfall.

Kreislaufwirtschaft im Baugewerbe

Unsere heutige, als linear bezeichnete Wirtschaft basiert auf dem Modell «Extrahieren – Produzieren – Konsumieren – Wegwerfen». Im Gegensatz zu diesem Modell zielt die Kreislaufwirtschaft darauf ab, Produkte und Materialien so lange wie möglich im Umlauf zu halten und ihre Lebensdauer und Nutzung dadurch zu verlängern. Dieses Kreislaufsystem minimiert die Abfallmenge und schont gleichzeitig die Ressourcen. An dieser Stelle seien einige für die Bauindustrie geltende Prinzipien genannt: Reduzieren (die Verwendung neuer Rohstoffe), Wiederverwenden (die Baumaterialien), Rezyklieren (Umwandlung des Materials), Verlagern (Bevorzugung von lokalem Know-how und lokal beschafften Materialien).

Zurückbauen statt abreissen

Ein bestehendes Gebäude umzuwandeln ist dem Abriss generell vorzuziehen. Ist ein Abriss unvermeidlich, ist zu prüfen, was wiederverwendbar ist, um Abfälle zu vermeiden. Dazu müssen wir unsere Methoden überprüfen und einen selektiven Rückbau vornehmen. Der erste Schritt ist die Diagnose, um festzustellen, welche Elemente Potenzial für eine Wiederverwendung haben. Die nächsten Schritte sind Demontage, Transport, Lagerung, eventuelles Nachschneiden der Elemente und schliesslich die Verwendung in einer neuen Konstruktion. So ein Rückbau ist meist teurer und aufwendiger für die Bauherrschaft. Dieser Aspekt muss auch bei der Planung von Neubauten berücksichtigt werden, indem leicht demontierbaren Konstruktionssystemen der Vorzug gegeben wird (mechanische Befestigungen anstelle von Klebesystemen).

Städte – die urbanen Minen

Damit sich die Wiederverwendung durchsetzen kann, ist ein Mentalitätswandel notwendig. Die Städte müssen eigentlich als Minen für wiederverwendbare Materialien betrachtet werden. Die EPFL Fribourg betreibt dazu am SXL-Labor Grundlagenforschung. In der Wiederverwendung langlebiger Bauelemente liegt ein grosses Potenzial. Stützen-Trägersysteme lassen sich leichter demontieren und wiederverwenden. Durch die Verlängerung ihrer Lebensdauer für einen weiteren Einsatz wird die bereits im Element enthaltene graue Energie eingespart.

Die Stahlkonstruktion zum Beispiel des Öko-Viertels Beddington Zero Energy Development (bedZED) in London wurde zu 95 Prozent aus Elementen gebaut, die vor Ort von Mülldeponien oder Abrissunternehmen zurückgewonnen wurden. Geografisch etwas näher gelegen, verwendet das Baubüro In Situ bei der Aufstockung der Halle 118 in Winterthur mehr als 80 Prozent der Materialien wieder.

Weniger Ressourcen, weniger Energie, dafür mehr Kreativität

Für die Architekt*innen von heute bedingt dies eine neue Arbeitsweise. Ein Projekt, basierend auf bereits vorhandenem Material, zu planen, ist kreativ und inspirierend, erfordert aber auch Flexibilität und das Aushalten von Unsicherheiten. Ein gelungenes Beispiel ist die Fassade des Schifffahrtsmuseums Kaap Skil in den Niederlanden, an der die Spuren der Zeit sichtbar sind: Das verwendete Holz stammt von versenkten, bei der Kanalsanierung gesammelten Pfählen.

Eine neue Praxis nimmt ihren Anfang.

Da diese Praxis noch wenig verbreitet ist, gibt es zahlreiche Schwierigkeiten. Die geltenden Normen, die zwischen dem Zeitpunkt der Erstverwendung des Materials und dem Zeitpunkt, an dem es wiederverwendet werden könnte, häufig variieren, machen die Aufgabe nicht leichter.

Eine erhöhte Nachfrage nach Gebrauchtmaterialien wird zur Entwicklung dieses Industriezweigs beitragen und die Kosten senken. Es gibt mehrere Online-Plattformen, deren Ziel darin besteht, Baumaterialien zu einem zweiten Leben zu verhelfen, wie zum Beispiel salza.ch und materiuum.ch.

Es braucht auch Anreize. Vor dem Abriss könnte systematisch eine Diagnose des Wiederverwendungspotenzials gefordert werden. Wegen des Vorbildcharakters öffentlicher Bauten sollte ein gewisser Prozentsatz an wiederverwendetem Material vorgeschrieben sein. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Wiederverwendung in Labels für nachhaltiges Bauen integriert wird, wie es der Bundesrat 2020 in seiner Antwort auf eine Interpellation von Adèle Thorens formulierte. Schliesslich kann die Praxis durch Bewusstseinsbildung und die Schaffung von beispielhaften Bauwerken weiter verbreitet werden.

Die Autorinnen

Sarah Hottinger und Elodie Simon
Architektinnen

Aus «casanostra» 162

 

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