Versäumnisse bei der Raumplanung sorgen in den Bergkantonen für Wohnungsnot. Grund sind unter anderem die vielen leerstehenden Zweitwohnungen, die wegen ihrer schlechten CO2-Bilanz ohnehin in der Kritik stehen. Grünen-Nationalrat Christophe Clivaz will nun mit einem unkonventionellen Vorschlag beide Probleme auf einmal angehen.
Not kennt kein Gebot. Das muss sich auch Christophe Clivaz gedacht haben. Denn der Walliser Grünen-Nationalrat sucht derzeit nach Mehrheiten im Parlament, um ein Förderprogramm zur Sanierung von Zweitwohnungen aufzugleisen. «Viele dieser Gebäude sind alt, schlecht isoliert und verfügen über Öl- und Elektroheizungen aus dem vergangenen Jahrhundert », begründet Clivaz seine Initiative. Clivaz sagt, dass nicht alle Besitzer*innen von Zweitwohnungen «sehr reich» seien, und eine Sanierung ohne staatliche Unterstützung nicht stattfände.
Im Gegenzug zu den öffentlichen Geldern müssten die Besitzer*innen dazu verpflichtet werden, ihre oft leer stehenden Wohnungen während einem Teil des Jahres fix unterzuvermieten. «Damit gäbe es automatisch weniger kalte Betten.»
Christophe Clivaz, dessen Familie ein Maiensäss in Randogne VS besitzt, denkt dabei nicht nur an die Tourist*innen, sondern auch an die Angestellten in Gastronomie und Hotellerie, die während ihres Saisonaufenthalts irgendwo leben müssen. Schliesslich sei die Wohnungsnot ein Grund für den Fachkräftemangel. «Es gibt genügend Beispiele von Zweitwohnungen, die während eines Teils des Jahres problemlos untervermietet werden können.»
Die Leerwohnungsziffer in den alpinen Tourismusgemeinden liegt tatsächlich mehrheitlich unter einem Prozent. Je höher die Dichte an Zweitwohnungen, das haben Erhebungen des Bundes ergeben, desto weniger Wohnraum. Zu dieser Entwicklung beigetragen haben ein einseitiges Standortmarketing in den Tourismusgebieten sowie die Auslegung zweier Gesetze: jenes zu den Zweitwohnungen (ZWG) und jenes zur Raumplanung (RPG).
Doch der Reihe nach.
Die Schlupflöcher des Zweitwohnungsgesetzes
In der Schweiz existieren rund 726 000 Zweitwohnungen, also Wohnungen, in denen niemand fix lebt. Die Belegung beschränkt sich auf wenige Tage im Jahr; das Bundesamt für Raumplanung (ARE) schätzt vierzig bis sechzig. Das heisst, über achtzig Prozent des Jahres stehen knapp ein Siebtel der 4,8 Millionen Wohnungen in der Schweiz leer. Das ist angesichts der Wohnungsnot eine hohe Zahl.
Dem ZWG, das 2016 in Kraft getreten ist und der Zersiedelung Einhalt gebieten sollte, ist dabei eine unrühmliche Rolle zugekommen. Es besagt, dass in Gemeinden mit über zwanzig Prozent Zweitwohnungen eigentlich keine neuen gebaut werden dürfen; davon sind besonders die Kantone Wallis (86 Gemeinden), Graubünden (75 Gemeinden), Tessin (62 Gemeinden) und Bern (43 Gemeinden) betroffen. Doch das Parlament hat das Gesetz mit Ausnahmen versehen, etwa wenn eine bestehende Erstwohnung in eine Zweitwohnung umfunktioniert wird, oder neue Zweitwohnungen touristisch bewirtschaftet werden. Beide Varianten sind finanziell lukrativer als unbefristete Mietverträge – und stehen entsprechend in der Gunst der Hauseigentümer*innen.
Auf Anfrage von casanostra schreibt Vera Weber vom ZWG-Initiativkomitee knapp: «Wir hätten uns eine strengere Umsetzung des Artikels gewünscht.» Als ob dies nicht genug wäre, ist das ZWG vor einem Jahr ein weiteres Mal aufgeweicht worden. Der Bündner Mitte-Nationalrat Martin Candinas hat mit Rückendeckung der Bergkantone erwirkt, dass anstelle von abgerissenen Häusern neue, grössere Bauten entstehen können – inklusive Zweitwohnungen. Candinas ist überzeugt, dass es solche Investitionen von Unterländern braucht, damit die Bergdörfer nicht aussterben.
Es ist die bürgerliche Antwort auf die Problematik.
Die hohen Reserven an Bauland
Der ehemalige SP-Nationalrat (2011– 2019) und Casafair-Vizepräsident Thomas Hardegger findet, dass es die Kantone in den vergangenen Jahren versäumt hätten, eine gescheite Raumplanung zu machen, «und zwar sowohl für die Tourist* innen als auch für die einheimische Bevölkerung». Versagt hätten zudem auch die lokalen Behörden bei der Planung von Wohn- und Gewerberaum für Einheimische.
Gemeint sind das erste RPG von 1980 und die nachfolgenden Revisionen, für die die Behörden nach dem Bauboom der Nachkriegszeit – inklusive Zehntausender neuer Zweitwohnungen – nur ein müdes Lächeln übrig hatten. Lieber zu viel Bauland als zu wenig, lautete die Devise. So wurde Land schnell zu Geld gemacht, und die Zersiedelung nahm ihren Lauf.
Erst mit dem revidierten RPG von 2014 wurden die Gemeinden dazu verpflichtet, überdimensioniertes Bauland wieder als Landwirtschaftsflächen auszuweisen. Damit sollte ein Gleichgewicht zwischen Nutzungs- und Schutzinteressen geschaffen werden – zumindest was die Umwelt betrifft. Schutzlos den Marktmechanismen ausgeliefert blieben dagegen die Mietenden. Und da sowohl Bauland als auch Immobilien durch das verdichtete Bauen an Wert gewonnen haben, und die seit Ausbruch der Pandemie steigende Nachfrage nach Zweitwohnungen die Preise ohnehin nach oben treibt, wird die lokale Bevölkerung weiter verdrängt, selbst in der ländlichen Schweiz. Darauf hat vor zwei Jahren auch das ARE hingewiesen. «Sofern keine Massnahmen gegen diese Entwicklung ergriffen werden», heisst es in einem Monitoringbericht zum ZWG, «ist künftig mit noch grösserer Wohnungsknappheit und entsprechenden sozialräumlichen Verdrängungseffekten und geografischen Wanderungsbewegungen zu rechnen.» Angesprochen auf die Versäumnisse in der Raumplanung, weicht die kantonale Bau-, Planungs- und Umweltdirektoren- Konferenz aus. Sie schreibt lediglich, dass die Kantone bis 2019 Zeit gehabt hätten, ihre Richtpläne anzupassen und den Gemeinden eine Frist zur Umsetzung gesetzt hätten. «Je komplexer die Situation in einem Kanton ist, desto länger dauert es, bis allfällige Rückzonungen erfolgt sind.»
Die vielen Ölheizungen in den Zweitwohnungen
Zur Wohnungsnot in den Bergen kommt ein weiterer Aspekt, der während der Wachstumsjahre Mitte des vergangenen Jahrhunderts kaum Thema war: die Energiebilanz von Zweitwohnungen. Vorschriften zu Isolation und Heizsystemen gab es kaum, sodass ein Grossteil dieser Gebäude so gebaut wurden, wie es den Bauherren gerade passte. Vor sechzig Jahren, als die Atomkraftwerke ans Netz gingen, Energie scheinbar unbeschränkt zur Verfügung stand und sich der Mittelstand erstmals eigene Autos leisten konnte, war der Zeitgeist ein anderer. Eindrücklich belegen dies die Zahlen zum jährlichen Heizaufwand in Wohnungen: 1970 belief sich dieser auf 200 KWh, heute auf 40 KWh.
Hochgehalten wird dieser Durchschnittswert auch von den damals gebauten Zweitwohnungen. Diese werden gemäss einer Studie des Bundesamtes für Energie aus dem Jahre 2017 noch zur Hälfte mit Heizöl beheizt; beim Gas sind es 15,1 Prozent, Elektroheizungen stehen in 9,4 Prozent der Wohnungen. Zwar können diese Heizungen inzwischen zehntausendfach vom Erstwohnsitz aus an- und abgestellt werden, auch dank des Förderprogramms MakeHeatSimple vom Bundesamt für Energie (BFE); Doch, gibt Christoph Clivaz zu bedenken, sei dies lediglich ein Tropfen auf den heissen Stein. «Nur sanierte Zweitwohnungen bringen eine nachhaltige Veränderung bei der Energiebilanz.»
Unerwartete Rückendeckung erhält der Grünen-Nationalrat von Heinrich Summermatter, Präsident des Dachverbandes Allianz Zweitwohnungen. «Wenn ich sehe, dass es immer noch Wohnungen gibt, deren Heizungen automatisch anspringen, obwohl sie niemand bewohnt, stehen auch mir die Nackenhaare zu Berge», sagt der Besitzer eines Chalets mit fünf Wohnungen in Lenk BE.
Auch habe er feststellen müssen, dass es nach wie vor Leute gebe, die zwar ihr Dach sanieren, allerdings auf die Installation einer Photovoltaikanlage verzichten. «Es ist schade, wenn man mit ein paar Franken mehr energetisch eine geschickte Sache machen könnte, dies aber unterlässt», findet Heinrich Summermatter. Es liege nun an den Zweitwohnungsbesitzer* innen, solche Umbauten voranzutreiben.
Die Krux mit der Freiwilligkeit
Über die Sanierungsrate bei Zweitwohnungen gibt es keine konkreten Zahlen. Das BFE ging 2022 bei der Beantwortung einer Interpellation von Christoph Clivaz davon aus, dass sie «etwas tiefer ausfällt» als beim Hauptwohnsitz. In seinem Schlussbericht zur energetischen Erneuerungsrate im Gebäudebereich von 2024 schreibt das Bundesamt, dass zwischen 2011 und 2020 bei drei Prozent der gasbeheizten und bei fünf bis sechs Prozent der ölbeheizten Gebäude Massnahmen ergriffen worden seien.
Auch Gewerbevertreter*innen finden, dass die Sanierung zu langsam vorangehe. Als Ansprechpartner für das BFE-Programm MakeHeatSimple ist der Heizungsplaner und Ingenieur Bruno Schletti oft auch in Zweitwohnungen unterwegs und kennt die Problematik der Sanierungen. Gerade bei Stockwerkeigentum sei es enorm schwierig, dass sich die verschiedenen Besitzer*innen einigen würden. Erschwerend kommt hinzu, dass knapp ein Fünftel der Zweitwohnungsbesitzer* innen heute im Ausland leben. Schletti sieht deshalb nur einen Weg: gesetzliche Vorgaben. «Die Erfahrung hat gezeigt », sagt er, «dass es bezüglich Sanierung Gesetze braucht. Über Freiwilligkeit wird nur eine Minderheit erreicht.»
Bund will bei Sanierung sparen
Bei einem vom ARE initiierten Erfahrungsaustausch zum Erstwohnraum in Tourismusgebieten im Alpenraum vor einem Jahr hat sich gezeigt, dass am Ende wohl eine Mischung aus verschiedenen Massnahmen zur Linderung der Wohnungsnot in den Bergen führen wird. Auch Synergien bei der Finanzierung von bezahlbaren Mietwohnungen wurden erwähnt, etwa über eine Lenkungsabgabe für Zweitwohnungen.
Ob nebst dem sozialen Aspekt auch jenem der Umwelt Rechnung getragen wird ist angesichts des politischen Umfeldes alles andere als sicher. So hat der Bundesrat vergangenes Jahr ein Förderungsprogramm zur Sanierung von Tourismusunterkünften im alpinen Raum als «nicht sinnvoll» erachtet. Zudem soll nun auch noch das Gebäudeprogramm den Sparübungen des Bundes zum Opfer fallen – also ausgerechnet jenes Förderinstrument, das die Zahl der energetischen Renovationen von Gebäudehüllen in der Schweiz zwischen 2011 und 2020 im Vergleich zur ersten Dekade der Nullerjahre um vierzig bis fünfzig Prozent erhöht hat.