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Nieder mit dem Flieder: Es lebe die Artenvielfalt

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Die Schweizer Pflanzenwelt ist stets im Wandel, auch der Mensch führt mit oder ohne Absicht neue Arten ein. Die allermeisten fügen sich in die bestehenden Lebensräume ein und bereichern die Artenvielfalt, einige wenige breiten sich unkontrolliert aus und gefährden fragile Lebensräume. In der Schweiz verbreiten sich invasive Arten über das Siedlungsgebiet, weshalb Grundstücke im Privatbesitz jetzt in den Fokus rücken.

Zum Beispiel der Flusslauf der Töss in Winterthur. Die Pflanzenwelt am Ufer wird durch Zivildienstleistende vom Verein Grünwerk gepflegt, sie kontrollieren und bekämpfen dort invasive Neophyten. Die Zivis finden sie jedes Jahr: neue Vorkommen. Denn in unmittelbarer Nähe zum Flusslauf befinden sich Schrebergärten, wo unter anderem Neophyten wach sen. Etwa die Goldrute: ein invasiver Neophyt – eine Pflanze, die durch menschliches Zutun in andere Lebensräume eingeführt wurde und sich dort zum Nachteil anderer Arten ausbreitet. Die Zivildienstleistenden entfernen diese einzeln, von Hand. Der Erfolg ihrer Anstrengungen wird aber durch den Eintrag aus benachbarten Schrebergärten stets aufs Neue vermindert. Darauf angesprochen, antwortet Philip Danuser, Umweltingenieur und Verantwortlicher für Zivildiensteinsätze beim Verein Grünwerk: «Wir stellen immer wieder fest, dass Neophyten aus Privatgärten auf öffentliche Flächen übergehen.» Für Zivis und Auftraggeber*innen bedeutet das: Der gleiche Aufwand muss ständig wiederholt werden.

Der Verein Grünwerk betreibt seit zwanzig Jahren Umweltpflege im öffentlichen Auftrag in Winterthur, Zürich, Schaffhausen und Thurgau. In der Umwelt pflege setzt das Grünwerk auf Zivildienstleistende, es geht dabei um den Erhalt der Artenvielfalt in biologisch wertvollen Gebieten. Die Bekämpfung von Neophyten an sensiblen Standorten ist ein bedeutender Teil dieser Arbeit. Ich habe selbst ein halbes Jahr lang Zivildienst beim Grünwerk geleistet und weiss, wie sorgfältig man dabei vorgehen muss. Mit der Zeit hatte ich mich daran gewöhnt, in die Knie zu gehen und die Goldrute so nahe der Wurzel zu fassen, dass sie nicht mitten im Stiel abreisst. Auf diese Weise soll möglichst viel vom Wurzelballen mit ausgerissen werden, damit sich nicht flugs eine neue Pflanze daraus entwickelt.

Massgebend ist die Artenvielfalt

In der öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Thema invasiver Neophyten wird der Vorwurf geäussert, man wolle «Fremdes» zugunsten von «Einheimischem» «ausrotten». Als ich zum ersten Mal mit dem Thema in Berührung kam, machte ich mir die gleichen Überlegungen: Warum ist diese Pflanze jetzt «böse» und warum muss ich sie ausreissen? Die Kartoffel ist auch ein Neophyt, ohne den die Küche in Europa eine andere wäre. Karotten, Tomaten, Lavendel, Salbei… die überwiegende Mehrheit aller in Europa vorkommenden Fremdpflanzen sind unproblematisch. Sie fügen sich in die heimische Pflanzenwelt ein, besetzen Nischen, bereichern so die Artenvielfalt und tragen zur Stabilität von Ökosystemen bei. In seinem Bestseller «Die neuen Wilden» weist der Autor Fred Pearce darauf hin, dass in vielen Fällen ein geschleppte Arten die Artenvielfalt bereichern. Nicht alle Neophyten verhalten sich invasiv. Je nach Quelle rechnet man mit rund 500 bis 800 in der Schweiz vor kommenden gebietsfremden Pflanzenarten. Davon werden etwa sechzig bis hundert Arten als Problem pflanzen angesehen.

Invasive Neophyten sind gemäss dem Online-Informationsportal Infoflora eine Hauptursache des Artenrückgangs. Zur Eindämmung wurden internationale Abkommen wie das Übereinkommen über die Biologische Vielfalt abgeschlossen. In der Schweiz erstellte das Bundesamt für Umwelt (BAFU) eine Strategie zu invasiven gebietsfremden Arten. Die Stabilität eines Ökosystems ist entscheidend, ob invasive Pflanzen Fuss fassen oder sich ausbreiten können. Auf offenen Flächen, wie sie in Baubrachen, bei der Renaturierung von Gewässern oder beim Tagbau entstehen, werden durch Störungen Lebensräume destabilisiert, die findige Pionierpflanzen sofort ausnutzen. Darunter sind eben auch invasive Arten. So wird etwa eine Brache, eine Kiesgrube oder auch ein gekiester Parkplatz, die Potenzial für allerlei biologisch wertvolle Arten böten, plötzlich zur Goldruten-Monokultur, deren dichte Bestände verhindern, dass andere Pflanzen Fuss fassen können. Die natürliche Folge der Pflanzenarten kann sich dann nicht einstellen.

Der volkswirtschaftliche Schaden, den invasive Arten verursachen, wird im EU-Raum auf über 20 Milliarden Euro und in den USA auf 120 Milliarden Dollar geschätzt – pro Jahr. Auf die Schweiz übertragen, rechnet das BAFU mit Schäden von 170 Millionen Franken pro Jahr. Die Bekämpfung der invasiven Neophyten geschieht dezentral und meistens auf freiwilliger Basis, wie das BAFU erklärt. Darum ist der aktuell betriebene Aufwand schwer zu beziffern. Eine Studie von ProNatura weist für die Bekämpfung von invasiven Neophyten einen Betrag von 20 Mio. CHF pro Jahr aus.

Ein kleiner Teil der invasiven Fremdpflanzen ist auf der «Schwarzen Liste» verzeichnet, andere sind in der Freisetzungsverordnung geregelt. Seit 2012 gilt für achtzehn Arten, dass diese nicht mehr in Verkehr gebracht, importiert, transportiert und gepflanzt werden dürfen. JardinSuisse, der Unternehmerverband Schweizer Gartenfirmen, schreibt in seiner Broschüre: «Jeglicher Umgang mit diesen Arten ist verboten (ausser die Bekämpfung)».

Private Grundstücksbesitzer*innen gefordert

Die Freisetzungsverordnung verpflichtet die Kantone, die Bekämpfung invasiver Arten an die Hand zu nehmen. Für das BAFU sollen Private neu eine grössere Rolle bei der Bekämpfung und Eindämmung invasiver Arten spielen. Denn in der Schweiz geschieht deren Verbreitung über den Siedlungsraum. Gebietsfremde Pflanzen kommen am häufigsten in den tiefstgelegensten, wärmsten Gebieten, also im Siedlungsraum vor. Entlang Verkehrs und Wasserwegen, aus Privat und sogar aus botanischen Gärten breiten sie sich in Wälder und Grünflächen aus. Bei manchen Arten geht es darum, eine Ausbreitung in die Alpen zu verhindern, wo die Ökosysteme zusätzlich wegen des Klimawandels fragil sind.

Mit der Revision des Umweltschutzgesetzes soll eine national koordinierte Herangehensweise, wie dies auch auf internationaler Ebene und in der Strategie vorgesehen ist, im Gesetz verankert werden. Einen Gesetzesentwurf gab das BAFU 2019 in die Vernehmlassung. Neu ist auch, dass Privatpersonen bei der Bekämpfung mit einbezogen werden: Diese haben Bekämpfungsmassnahmen zu dulden, oder es besteht eine Unterhaltspflicht für Inhaber*innen von Grundstücken. Bei einer vorsätzlichen Verletzung der Vorschriften sollen gemäss Vernehmlassungsvorlage Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren oder Geld strafen verhängt werden können. Die Vernehmlassung, die von Mai bis September 2019 dauerte, generierte 576 Seiten an Stellungnahmen, von Kantonen, Gemeinden, Parteien, Verbänden und Privatpersonen. Kritisiert wird unter anderem, dass die Vorschriften die Eigentumsrechte privater Grundstücksbesitzer*innen beschneiden. Ganz neu ist die Unterhaltspflicht allerdings nicht: für Ambrosia (Ambrosia artemisiifolia) gilt in der Pflanzenschutzverordnung bereits eine Bekämpfungs- und Meldepflicht.

Casafair hat sich ebenfalls zum Gesetzesprojekt geäussert und begrüsst die Massnahmen gegen invasive Organismen, verlangt aber, dass betroffene Grundeigentümer*innen professionell unterstützt werden. «Als umweltbewusste Grundstückeigner*innen sind wir klar der Meinung, dass die Förderung der Biodiversität in unserer Verantwortung liegt», betont Casafair-Präsidentin und SP-Nationalrätin Claudia Friedl in der Medienmitteilung zur Vernehmlassung. Der Staat muss Privatleute bei der Umsetzung unterstützen: Sowohl mit Information und Sensibilisierung, bei Härtefällen auch finanziell. Sanktionen sollen nur bei vorsätzlichen Widerhandlungen aus gesprochen werden. Auf Anfrage gibt das BAFU an, dass sich das Gesetzgebungsprojekt verzögert und Richtungsentscheide zur möglichen Anpassung der Vorlage aufgrund der Vernehmlassung noch ausstehen. Der Bundesrat plant in den Jahreszielen, die Botschaft zur Revision des Umweltschutzgesetzes in der zweiten Hälfte des Jahres 2021 dem Parlament zu unterbreiten. Die Massnahmen gemäss dem revidierten Umweltschutzgesetz werden am Anfang insgesamt 90 Millionen Franken pro Jahr kosten, schätzt das BAFU. Rund 25 Millionen jährlich entfallen auf den Aufwand von Inhaberinnen und Inhabern von Grundstücken, Anlagen oder Gegenständen, also Privatpersonen und Firmen. Werden die Massnahmen erfolgreich umgesetzt, sinkt auch der Aufwand in den Folgejahren.

Keine Trivialisierung der Grünflächen

Für Casafair ist es zentral, dass durch die Bekämpfung invasiver Fremdpflanzen keine Golfrasen oder Steinwüsten entstehen. Liegenschaftsbesitzer*innen, vor allem von grossen Einheiten, haben ein Interesse, für die Begrünung Pflanzen zu wählen, die wenig Aufwand verursachen. Ein Negativbeispiel dafür ist die Zwergmispel (Cotoneaster) alias: Architektenpetersilie. Die bodendeckende Pflanze gehört zu den wichtigsten Wirtspflanzen für Feuerbrand und ist so indirekt für Schäden an Obstbäumen verantwortlich. Gegen eine Trivialisierung der Grünflächen hilft professionelle Beratung durch Naturgärtner*innen, Landschaftsarchitekt*innen sowie ein Bekämpfungskonzept, wie es im Gesetzesentwurf vorgesehen ist.

Casafair-Präsidentin fordert Verkaufsverbot

Casafair verlangt zudem, dass invasive Fremdpflanzen nicht mehr verkauft werden dürfen. Der Sommerflieder ist beispielsweise weiterhin legal im Gartencenter erhältlich. Auch wenn dessen Blütezeit längst vorbei ist, sind die verdorrten Blüten und Triebe immer noch zu sehen: Sei es an einer Ufermauer, am See oder an einer sonnigen Böschung. Sommer flieder (Buddleja davidii) stammt ursprünglich aus Höhenlagen in China und Tibet und wurde Ende des 19. Jahrhunderts als Zierpflanze eingeführt. Weil der Sommerflieder in kargen Umgebungen beheimatet ist, wo sonst kaum ein Kraut wächst, verfügt er über kraftvolle Verbreitungsstrategien, um selbst an den unmöglichsten Orten Fuss zu fassen. Die anspruchslose Pflanze gedeiht selbst in Mauerritzen und Felsspalten, blüht bereits nach nur einem Jahr und produziert während einer langen Blüte bis zu drei Millionen Samen. Sommerflieder ist auf der schwarzen Liste von Infoflora verzeichnet, JardinSuisse empfiehlt mindestens die Information der Kundschaft über das invasive Potenzial. Blütenstände sind vor der Samenreife zu entfernen, hohe Sträucher zurückzuschneiden. Pflanzenteile bringt man in geschlossenen Behältern in die Biogasanlage, eine zertifizierte Kompostanlage oder gibt sie in den Hausmüll. An Gartencenter gerichtet, empfiehlt JardinSuisse in seiner Informationsbroschüre zu invasiven Neophyten: «Noch besser: Nehmen Sie die Art aus Ihrem Sortiment.» Denn Gartenbesitzer*innen gehen davon aus, dass sie das, was sie im Handel er werben, auch anpflanzen dürfen. Im Parlament ist ein Verkaufsverbot für invasive Fremdpflanzen unbestritten. Die entsprechende Motion von Claudia Friedl wurde in der Wintersession 2020 oppositionslos von National und Ständerat überwiesen. Die An liegen der Motion werden über den Verordnungsweg im Anschluss an die Änderung des Umweltschutzgesetzes umgesetzt. Das BAFU betont: Ein Verkaufs verbot (als Teil des umfassenderen Verbots des Umgangs in der Umwelt) besteht bereits heute für die in der Freisetzungsverordnung aufgelisteten Pflanzen.

Wir sind gespannt, wie die Revision des Umweltschutzgesetzes ausfallen wird und welche Konsequenzen für Liegenschaftsbesitzer*innen daraus entstehen. Klar ist: für den Schutz der Biodiversität braucht es alle Akteuere : Architekt*innen, Gartenbau, Land und Forstwirtschaft, den Naturschutz der öffentlichen Hand und das verantwortungsvolle Handeln privater Grundstücks und Waldbesitzer*innen.

Der Autor

Nadim Chammas
Redaktor «casanostra»

Aus «casanostra» 160

casanostra 161 | April 2021

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